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Ein Microsoft-Patent beschreibt, wie man mittels Texten, Social Media Posts und Videos aus einer fiktiven oder realen Person einen Chatbot macht. Cool oder problematisch?

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Der Tod ist wohl das größte Mysterium des Lebens. Menschen können den unwiederbringlichen Verlust und auch die eigene, endgültige Endlichkeit kaum begreifen. Während einige sich damit arrangieren, das „Muss so sein“ der Evolutionslehre als Mantra rezitieren, sich der Religion oder Drogen zuwenden (laut Marx besteht da ein Zusammenhang), versuchen andere Wege zu finden, den Tod zu überwinden.

Nun hat Microsoft bei Einreichung eines gewissen Patents im Jahre 2017 nicht unbedingt den Tod überwinden wollen. Aber die beschriebene Technik eignet sich theoretisch zur Trauerbewältigung – oder um einen Verlust nicht in aller Konsequenz hinnehmen zu müssen.

Microsoft-Patent: Aus persönlichen Daten einen Chat-Bot bauen

Das von Dustin Abramson and Joseph Johnson, Jr. eingereichte Patent trägt den Namen „Erstellen eines dialogfähigen Chatbots von einer bestimmten Person“ und beschreibt einen Chat-Bot, der im Stil der Persönlichkeit der zugrundeliegenden Person antwortet. Die Zusammenfassung des Patents lautet wie folgt:

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„Beispiele der vorliegenden Patentschrift beschreiben Systeme und Verfahren zur Erstellung eines Konversations-Bots von einer bestimmten Person. In einigen Aspekten kann auf soziale Daten (z. B. Bilder, Sprachdaten, Beiträge in sozialen Medien, elektronische Nachrichten, geschriebene Briefe usw.) der spezifischen Person zugegriffen werden. Die sozialen Daten können verwendet werden, um einen speziellen Index zum Verhalten der Person zu erstellen oder zu modifizieren. Der spezielle Index kann verwendet werden, um einen Chatbot darauf zu trainieren, sich im Stil der Persönlichkeit der spezifischen Person zu unterhalten. Während solcher Unterhaltungen können ein oder mehrere Konversationsdatenspeicher und/oder APIs verwendet werden, um auf Benutzerdialoge und/oder Fragen zu antworten, für die die sozialen Daten keine Informationen liefern. In einigen Aspekten kann ein 2D- oder 3D-Modell einer bestimmten Person unter Verwendung von Bildern, Tiefeninformationen und/oder Videodaten, die mit der bestimmten Person verbunden sind, generiert werden.“

In den Details des Patents gehen die Entwickler / Erfinder genauer darauf ein, welche Personen sich dafür eignen könnten.

„In Beispielen kann die bestimmte Person einer vergangenen oder gegenwärtigen Entität (oder einer Version davon) entsprechen, z. B. einem Freund, einem Verwandten, einem Bekannten, einer Berühmtheit, einem fiktiven Charakter, einer historischen Figur, einer beliebigen Entität usw. Die bestimmte Person kann auch sich selbst entsprechen (z. B. dem Benutzer, der den Chatbot erstellt/trainiert), oder einer Version von sich selbst (z. B. sich selbst in einem bestimmten Alter oder Lebensabschnitt).“

Deep Learning: Wenn Old Sheldon mit Young Sheldon kommuniziert

Eine Künstliche Intelligenz wird also mit Daten trainiert, die aus allen möglichen zur Verfügung stehenden Ressourcen gewonnen werden: Stimm-Aufnahmen, Texte, SMS, WhatsApp-Nachrichten, Facebook-Postings, hochgeladene oder anderswo gespeicherte Bilder und so weiter. Die KI wird nun beispielsweise mittels Deep Learning darauf trainiert, so zu antworten, wie es die reale Person tun würde oder getan hätte.

Die Möglichkeiten sind zumindest interessant. Eine Konversation mit meinem 15-jährigen Selbst würde allerdings schnell dazu führen, dass ich ihm Vorwürfe mache, warum er damals so dumm war, die Schule schleifen zu lassen. Die Antwort darauf kenne ich und sie gefällt mir heute nicht mehr.

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Also trainiere ich meine KI lieber mit Daten über Eddard Stark (Game of Thrones, Amazon-Link), um mit ihm über die verwegene These zu diskutieren, dass ein Ehrenkodex nur solange sinnvoll ist, wie man einen Kopf auf den Schultern hat, um ihn zu vertreten. Sheldon wäre über so eine Technologie übrigens hocherfreut (Big Bang Theory, Staffel 12, Ep. 10, ab 06:55; Amazon-Link).

Nun verbirgt sich in dem Patent aber neben all den richtig coolen Möglichkeiten eben auch eine Variante mit ethischen Implikationen: das Training mit Daten verstorbener Personen. Wäre es nicht wunderbar, wenigstens die Illusion einer geliebten Person bei sich zu haben, via Smart-Speaker vielleicht eine „Guten Morgen“-Konversation zu führen oder sogar ein Hologramm desjenigen zu sehen, während er oder sie scheinbar echte Antworten auf meine Fragen gibt?

Echte Persönlichkeit oder nur eine Imitation?

Wie gut so ein Chat-Bot sein könnte, hängt unter anderem davon ab, wie viele Daten für das KI-Training zur Verfügung stehen, welche Trainingsmethoden verwendet werden und natürlich davon, was wir unter persönlicher Identität verstehen. Ist es der Ausdruck? Ausdruck und Inhalt? Oder doch die moralischen Werte und Überzeugungen? Sind Menschen nicht nur (Bio-)Computer und kann man dann nicht einfach ein Duplikat der Persönlichkeit schaffen, die der Person zumindest verblüffend ähnlich ist? Oder bräuchte es dafür eine Gehirnkopie?

Niemand von uns möchte glauben, dass er nur ein elektrisches Allerlei ist, dass sich mit der richtigen Apparatur simpel replizieren lässt. Versuche, gerade Verstorbene wieder irgendwie in die Welt der Lebenden zu holen, hat es jedenfalls schon einige gegeben – und da wäre Microsofts Patent noch längst nicht das Verrückteste.

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Der südkoreanische Fernsehsender MBC hat eine etwas verstörende Wiedervereinigung einer Mutter mit ihrer Tochter in Virtual Reality ausgestrahlt. Die AR-App „Spot Message“ bringt unter anderem Verstorbene mit einer Grußbotschaft via Smartphone an bestimmte reale Orte. Auch verstorbene Schauspieler sollen mit KI reanimiert werden und sozusagen das Leichentuch wieder mit der großen Leinwand tauschen.

Am Ende müssen wir auch die gesellschaftliche Frage stellen: Möchten wir das zulassen? Welche Nachteile hat es und wertet es nicht den Menschen an sich ab, wenn wir ihn künstlich als seelenlose Maschine zu replizieren versuchen? Oder ist es ein erster notwendiger Schritt hin zur Transformation des menschlichen Bewusstseins in eine dauerhaftere Daseins-Form?

Microsoft arbeitet (noch) nicht an der Verstorbenen-KI

Ohne eigenes Bewusstsein kann eine solche KI keine echte Persönlichkeit entwickeln. Aber kann sie eine Persönlichkeit überzeugend imitieren, so wie es etwa die Black Mirror-Folge „Wiedergänger“ (Staffel 2, Episode 1) beschreibt?

Microsoft strebt zumindest derzeit nicht danach, diese Frage zu beantworten, wie Tim O’Brien, General Manager of AI Programs bei Microsoft, über Twitter verlauten lässt. Falls er aber mal Writer für Black Mirror werde, wüsste er genau, wo er sich seine Ideen holen würde – auf der Patentseite nämlich, die das Microsoft-Patent führt.

Quelle: USPTO.gov via CNet

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