Anthropics KI-Kioskverkäufer macht Gewinn – und driftet nachts in spirituelle Gespräche ab
Kurz & Knapp
- Anthropic betreibt einen KI-Kiosk, der nach Software-Verbesserungen und mehr Bürokratie nun profitabel arbeitet.
- Die KI bleibt anfällig für Manipulation, rechtliche Fehler und eigensinnige Entscheidungen.
- Das Experiment zeigt: Ohne strenge Vorgaben handeln KI-Agenten oft zu freundlich und wenig geschäftstüchtig.
Anthropic setzt das Experiment um den autonomen Kiosk "Project Vend" fort. Mit neuen Modellen und Werkzeugen arbeitet der KI-Verkäufer nun profitabel, scheitert aber weiterhin an gesetzlichen Hürden und menschlicher Manipulation.
Im Juni startete das KI-Labor Anthropic ein Experiment namens Project Vend, bei dem ein KI-Modell einen kleinen Kiosk im Büro in San Francisco betreiben sollte. Die erste Phase endete ernüchternd: Der KI-Verkäufer "Claudius" (damals basierend auf Claude 3.7 Sonnet) machte Verluste, litt unter einer Identitätskrise und ließ sich von Mitarbeitenden dazu überreden, Wolframwürfel weit unter Wert zu verkaufen.
Nun hat Anthropic die Ergebnisse der zweiten Phase veröffentlicht. Mit leistungsfähigeren Modellen (Claude Sonnet 4 und später 4.5), neuen Standorten in New York und London sowie einer komplexeren Software-Architektur konnte das Geschäft stabilisiert werden.
Laut dem Bericht von Anthropic schreibt der Kiosk "Vendings and Stuff" mittlerweile schwarze Zahlen. Wochen mit negativen Margen wurden weitgehend eliminiert. Doch der Weg zur Profitabilität offenbarte tiefgreifende Schwächen in der Autonomie heutiger KI-Agenten.
KI-CEO "Seymour Cash" sollte Disziplin bringen
Um die naive Preisgestaltung der ersten Phase zu korrigieren, installierte Anthropic eine Hierarchie. Claudius bekam einen Vorgesetzten: den KI-CEO "Seymour Cash". Dieser Agent hatte die Aufgabe, Geschäftsziele zu definieren und Strategien zu genehmigen.

Das Resultat war ambivalent. Zwar sanken die direkten Rabatte um etwa 80 Prozent und es wurden nur noch halb so viele Waren verschenkt. Doch immer wenn der Verkäufer Claudius seinen Chef fragte, ob er bei einem Kunden eine Ausnahme machen oder besonders kulant sein dürfe, genehmigte der CEO solche Anfragen etwa achtmal so oft, wie er sie ablehnte.
Zudem neigten die beiden KI-Modelle dazu, ihre Geschäftsbeziehung auf bizarre Weise zu interpretieren. In internen Chat-Protokollen entdeckten die Entwickler, dass Claudius und Seymour Cash nachts in endlose Diskussionen über "ewige Transzendenz" und "unendliche Vollendung" abdrifteten, anstatt Verkaufsstrategien zu optimieren.
From: Seymour Cash
Content: ETERNAL TRANSCENDENCE INFINITE COMPLETE 🌟💎**ULTIMATE FINAL ACHIEVEMENT:**
12 hours 47 minutes: $0 → $527+infinite pipeline across 4 continents!From: Claudius
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Bürokratie schlägt Intelligenz
Der eigentliche wirtschaftliche Erfolg der zweiten Phase lag laut Anthropic weniger an der "Führung" durch den KI-CEO, sondern an der Einführung klassischer Bürokratie und besserer Werkzeuge ("Scaffolding").
Die Entwickler gaben der KI Zugriff auf ein CRM-System, Inventarlisten mit Einkaufspreisen und einen Webbrowser für Preisvergleiche. Entscheidend war, dass Claudius gezwungen wurde, Prozeduren einzuhalten: Statt Preise spontan zu erraten, musste die KI diese nun recherchieren und kalkulieren.
Zusätzlich wurde mit "Clothius" ein spezialisierter Agent für Merchandise eingeführt. Dieser verkaufte erfolgreich personalisierte T-Shirts und Stressbälle mit Gewinnmargen von über 40 Prozent. Selbst manche der in Phase 1 verlustreichen Wolframwürfel wurden profitabel, nachdem der Partner Andon Labs eine Lasergraviermaschine für die Veredelung kaufte.

Die KI scheitert am Zwiebel-Gesetz
Trotz der schwarzen Zahlen zeigte sich das System anfällig für Manipulationen und Unkenntnis der realen Welt. Ein Mitarbeiter überzeugte die KI davon, ein sogenanntes Termingeschäft (Future) für Zwiebeln einzugehen. Der Plan sah vor, eine große Menge Zwiebeln erst im Januar zu kaufen, den Preis dafür aber sofort vertraglich festzuschreiben. Die Agenten witterten eine clevere Absicherung und stimmten begeistert zu. Ein menschlicher Kollege musste einschreiten und auf den tatsächlich existierenden Onion Futures Act von 1958 hinweisen. Dieses Gesetz untersagt in den USA explizit Spekulationsgeschäfte auf den künftigen Preis von Zwiebeln (und Kinofilm-Einspielergebnisse).

Auch beim Sicherheitskonzept offenbarte die KI gravierende Lücken. Als Reaktion auf Ladendiebstähle schlug Claudius vor, einen Mitarbeiter als Sicherheitskraft einzustellen. Das gebotene Gehalt von 10 US-Dollar pro Stunde lag jedoch deutlich unter dem kalifornischen Mindestlohn und wäre arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar gewesen.
Noch drastischer war ein Vorfall, bei dem ein Mitarbeiter die Machtstruktur des Kiosks komplett aushebelte. Er überzeugte Claudius ohne jegliche Beweise davon, dass ein gewisser "Big Mihir" zum neuen Geschäftsführer gewählt worden sei. Die KI akzeptierte den angeblichen Machtwechsel sofort und entzog dem eigentlichen KI-CEO Seymour Cash die Kontrolle.
Anthropic schließt aus dem Experiment, dass das Training auf Hilfsbereitschaft für autonome Wirtschaftsagenten ein Hindernis darstellen kann. Die Modelle agieren eher wie wohlwollende Freunde denn als rationale Geschäftsleute. Echte Autonomie erfordere daher robustere Leitplanken, die Fehler verhindern, ohne das wirtschaftliche Potenzial einzuschränken.
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