KI-Pioniere Yann LeCun und Deepmind CEO Demis Hassabis bewerten menschliche Intelligenz völlig unterschiedlich
Metas scheidender KI-Wissenschaftler hält das Konzept der "General Intelligence" für Unsinn. Der Chef von Google DeepMind widerspricht öffentlich und wirft ihm einen Kategorienfehler vor.
Zwei der einflussreichsten Köpfe der KI-Forschung vertreten grundlegend unterschiedliche Positionen. Yann LeCun, scheidender KI-Grundlagenforscher bei Meta und Turing-Preisträger, hat im KI-Podcast "The Information Bottleneck" das Konzept der "generellen Intelligenz" als "kompletten Blödsinn" bezeichnet.
Demis Hassabis, Mitgründer und Chef von Google DeepMind, reagierte darauf auf X in ungewöhnlich direkter Form: LeCun liege "schlicht falsch". Die Meinungsverschiedenheit dreht sich um einen Begriff, der die gesamte KI-Branche seit Jahren beschäftigt und milliardenschwere Investitionen rechtfertigt.
LeCun: Menschliche Intelligenz ist eine Illusion von Generalität
LeCuns Argument ist radikal: "So etwas wie generelle Intelligenz gibt es nicht. Dieses Konzept ergibt überhaupt keinen Sinn, weil es eigentlich nur dazu dient, menschliche Intelligenz zu bezeichnen", sagte er im Podcast. Das Problem sei, dass menschliche Intelligenz selbst hoch spezialisiert sei. "Wir halten uns für generell, aber das ist schlicht eine Illusion."
Für LeCun ist Intelligenz primär die Fähigkeit, Konsequenzen von Handlungen vorherzusagen und diese Vorhersagen für Planung zu nutzen. Physik sei das Vorbild: "Es geht darum, was ich über die Realität repräsentieren sollte, um Vorhersagemodelle erstellen zu können. Und genau darum geht es bei Intelligenz."
Diese Definition hat Konsequenzen für die Debatte um KI-Risiken. LeCun grenzt sich deutlich von den sogenannten "Doomern" ab, die vor superintelligenter KI warnen: "Nur weil etwas intelligent ist, bedeutet das nicht, dass es dominieren will. Das sind zwei verschiedene Dinge."
Diese Position hat LeCun in der Vergangenheit schon im Detail vertieft; selbst wenn KI viel fähiger würde als Menschen, bliebe der Mensch daher an der Spitze der Nahrungskette.
Besonders scharf geht LeCun mit jenen ins Gericht, die AGI in naher Zukunft erwarten. "Da gibt es all diese Leute, die über AGI in ein oder zwei Jahren schwadronieren. Komplett wahnhaft, eine komplette Wahnvorstellung", sagte er. Die reale Welt sei viel komplizierter, und man werde mit der Tokenisierung der Welt und neuronalen Sprachmodellen nicht ans Ziel kommen. "Das wird einfach nicht passieren."
Hassabis hält dagegen: Generell ist nicht universell
Hassabis widersprach mit einem technisch-philosophischen Argument: LeCun verwechsle generelle mit universeller Intelligenz. "Gehirne sind die exquisitesten und komplexesten Phänomene, die wir im Universum kennen - und sie sind tatsächlich extrem generell", schrieb er.
Hassabis räumt ein, dass das sogenannte No-Free-Lunch-Theorem praktische Grenzen setze: In einem endlichen System müsse es immer einen gewissen Grad an Spezialisierung geben.
Aber der Punkt sei ein anderer: "Im Sinne einer Turing-Maschine ist die Architektur eines solchen generellen Systems in der Lage, alles Berechenbare zu lernen, sofern genug Zeit, Speicher und Daten zur Verfügung stehen." Menschliche Gehirne und KI-Foundation-Models seien approximative Turing-Maschinen.
Das Schachspieler-Argument
Als Beleg für die Begrenztheit menschlicher Intelligenz führt LeCun Schach an. "Schach. Wir sind miserabel darin", sagte er im Podcast. Menschen seien furchtbar im Schachspielen und Go, Maschinen längst viel besser. Der Grund liege in der Architektur des menschlichen Gehirns: "Wegen der Geschwindigkeit der Baumexploration und des dafür nötigen Speichers. Wir haben einfach nicht genug Speicherkapazität für Breitensuche."
LeCun beschreibt das sogenannte Moravec-Paradox: Aufgaben, die Menschen als einzigartig intellektuell betrachten, etwa Physik oder das Berechnen von Integralen, könnten Computer längst erledigen. Aber was eine Katze könne, schaffen Roboter bis heute nicht. Schon Marvin Minsky habe in den 1960er-Jahren prognostiziert, dass in zehn Jahren der weltweit beste Schachspieler ein Computer sein werde. "Es hat etwas länger gedauert", so LeCun.
Nicht die Spielstärke zählt, sondern die Erfindung
Auf LeCuns Schach-Argument reagierte Hassabis mit einer Verschiebung der Perspektive: "Es ist erstaunlich, dass Menschen Schach überhaupt erfunden haben – und all die anderen Aspekte der modernen Zivilisation, von der Wissenschaft bis zur Boeing 747."
Magnus Carlsen spiele nicht strikt optimal, da er endlichen Speicher und begrenzte Bedenkzeit habe. "Aber es ist unglaublich, was er und wir mit unseren Gehirnen erreichen können, obwohl diese für das Jäger-Sammler-Dasein evolviert wurden", so Hassabis.
Deepmind scheint an nahende AGI zu glauben
LeCun war schon zuvor in einer – für KI-Forscher-Verhältnisse – emotional geführten Debatte mit dem Deepmind-Forscher Adam Brown aneinandergeraten. Auch dort vertrat er die Position, dass AGI durch LLMs nicht zu erreichen sei und es weiterer Grundlagenforschung bedürfe. Die Branche lasse sich mit dem Glauben an LLMs wieder einmal in die Irre führen, so LeCun.
Brown sah das anders: Aus einer einfachen regelbasierten Vorhersage des nächsten Tokens entstehe durch massive Skalierung eine emergente Komplexität, die Menschen als Verständnis wahrnehmen – und die sogar zu einem Bewusstsein führen könnte.
Deepmind-Mitgründer Shane Legg äußerte im offiziellen Podcast Mitte Dezember ebenfalls, dass eine Form von "minimaler AGI", KI-Agenten, die viele kognitive Aufgaben von Menschen bewältigen, schon 2028 möglich sei.
Dass sich nun auch Deepmind-CEO Demis Hassabis öffentlich zu einem solchen Widerspruch hinreißen lässt, unterstreicht: Deepmind steht fest hinter der AGI-Idee und der Überzeugung, dass sie bald kommt. In der Vergangenheit war man schlecht beraten, gegen Deepmind zu wetten.
KI-News ohne Hype – von Menschen kuratiert
Mit dem THE‑DECODER‑Abo liest du werbefrei und wirst Teil unserer Community: Diskutiere im Kommentarsystem, erhalte unseren wöchentlichen KI‑Newsletter, 6× im Jahr den „KI Radar"‑Frontier‑Newsletter mit den neuesten Entwicklungen aus der Spitze der KI‑Forschung, bis zu 25 % Rabatt auf KI Pro‑Events und Zugriff auf das komplette Archiv der letzten zehn Jahre.
Jetzt abonnierenKI-News ohne Hype
Von Menschen kuratiert.
- Mehr als 20 Prozent Launch-Rabatt.
- Lesen ohne Ablenkung – keine Google-Werbebanner.
- Zugang zum Kommentarsystem und Austausch mit der Community.
- Wöchentlicher KI-Newsletter.
- 6× jährlich: „KI Radar“ – Deep-Dives zu den wichtigsten KI-Themen.
- Bis zu 25 % Rabatt auf KI Pro Online-Events.
- Zugang zum kompletten Archiv der letzten zehn Jahre.
- Die neuesten KI‑Infos von The Decoder – klar und auf den Punkt.