Robotik-Expert:innen äußern sich zu Teslas kürzlich vorgestelltem KI-Roboter. Wie fallen die Urteile über den Prototyp und seine Fähigkeiten aus?
Auf Teslas diesjähriger KI-Konferenz „Tesla AI Day“ präsentierte Elon Musk den ersten Prototyp seines humanoiden Roboter-Projekts „Optimus“. Der auf den Namen „Bumble C“ getaufte Bot ging selbstständig über die Bühne und beeindruckte das Publikum mit Wink- und Tanzeinlagen.
Anschließend zeigte Musk anhand eines vorher aufgezeichneten Videos, wie Bumble C Aufgaben wie das Tragen und Ablegen einer Kiste oder das Anheben und Benutzen einer Gießkanne durchführt. Nun melden sich Expert:innen aus der Robotik-Forschung zu Wort und ordnen das Gezeigte ein.
Tesla Bot: Das ist Optimus
Der vorgeführte Konzept-Roboter ist der erste Prototyp des 2021 vorgestellten Tesla Bot-Projekts. Er nutzt den Menschen nachempfundene Hände, verfügt über Gliedmaßen mit einer Bewegungsfreiheit von 28 Grad, wiegt 73 Kilogramm und ist mit einem 2,3 kWh-Akku ausgestattet. Damit soll er einen vollen Arbeitstag durchhalten. Für die Navigation nutzt Tesla eine Portierung der hauseigenen Full Self-Driving-KI-Software für autonomes Fahren.
Mit einer solchen Maschine, soll laut Musk „eine Zukunft, in der es keine Armut gibt“ und eine „grundlegende Veränderung der Zivilisation, wie wir sie kennen“ möglich werden. Der Tesla-CEO betonte während der Präsentation, den humanoiden Roboter schnellstmöglich in sehr hohen Stückzahlen herstellen und in Millionen von Einheiten verkaufen zu wollen.
Optimus soll sowohl als Alltagshilfe für Privatpersonen als auch in der Industrie als Arbeitskraft eingesetzt werden. Kund:innen sollen „innerhalb von drei Jahren, wahrscheinlich nicht mehr als fünf Jahren“ einen Tesla-Bot bestellen können, der „viel weniger als ein Auto kosten wird – viel weniger als 20.000 Dollar“, verspricht Musk.
Demo und Realität: Die Frage nach dem Kontext
Gegenüber The Verge und IEEE Spectrum äußerten sich einige Expert:innen über den gezeigten Roboter und seine Fähigkeiten. Jonathan Aitken, Robotik-Forscher und Dozent an der Universität von Sheffield, spricht von einer interessanten Demo und lobt den Fortschritt, den Teslas Team in der Kürze der Zeit erreicht hat. Es gebe allerdings noch viele offene Fragen über die Fähigkeiten des Roboters und die genaue Art der Demos.
In den voraufgezeichneten Videos sei Optimus noch an einer „Nabelschnur“ befestigt. „Das wirft für mich zwei große Fragen auf: Macht und Kommunikation/Kontrolle. War die Nabelschnur für die Sicherheit da? Oder für Strom und Anweisungen?“, fragt Aitken. Die Präsentation auf der Bühne war laut Tesla Bumble Cs erster Lauf ohne Verkabelung.
Die Aufnahmen, die den Roboter in der Tesla-Fabrik beim Bewegen von Bauteilen zeigen, seien laut Aitken zwar beeindruckend, allerdings fehle der Kontext. „Ich würde gerne mehr Informationen darüber sehen, wie groß ein Bauteil ist und wie allgemein dies in ihrem Fertigungsprozess ist.“
Eine gute Plattform für künftige Forschungen
Robotik-Professor Henrik Christensen von der Universität San Diego spricht von „soliden“ Design und Geh-Fähigkeiten, Teslas Ansatz sei allerdings „wenig innovativ“. Es gebe keine wirklichen Beweise dafür, dass Teslas Roboter grundlegende Navigations-, Greif- und Manipulationsfähigkeiten besitze.
Christensen stellt außerdem das Handdesign mit fünf Fingern infrage: „Ich bin nicht sicher, ob man fünf Finger benötigt. Ich habe hier kein stichhaltiges Argument gesehen, das über das Winken mit der Hand hinausgeht.“ Es sei ein gutes anfängliches Design und beeindruckend, wie weit Tesla in neun Monaten gekommen sei, aber die Innovation, die über Boston Dynamics und Agility hinausgeht, sei sehr begrenzt, merkt Christensen an.
„Bisher haben sie eine schöne Plattform für die Forschung gebaut [...] Die gute Nachricht ist, dass Musk keine Angst hat, groß zu denken und zu investieren. Daher erwarte ich, dass wir hier in Zukunft echte Innovationen sehen werden“, resümiert Christensen.
Gary Marcus sieht die Optimus-Demo als Blindgänger
Für den KI-Experten und Autor Gary Marcus liege die Herausforderung für Tesla nicht in der Tatsache, dass ihnen die Roboter von Boston Dynamics voraus wären. Mit genügenden Investitionen, zu denen Musk die Mittel zweifellos habe, könne Tesla aufholen. Was allerdings fehle, sei eine Vision.
„Erstens gab es keine klar umrissene Vision für das, was Optimus tun würde, und auch keine Rechtfertigung dafür, warum Tesla den Roboter auf diese spezielle Weise baut“, kritisiert Marcus.
Es gebe keine entscheidende Begründung dafür, warum ein humanoider Roboter eingesetzt werden sollte und nicht beispielsweise nur ein Arm. Außerdem fehle Klarheit über die erste große Anwendung, die Markteinführungsstrategie oder ein eindeutiges Unterscheidungsmerkmal des Produkts.
„Zweitens gab es kaum eine Vision dafür, wie Tesla den kognitiven Teil der benötigten KI aufbauen würde, abgesehen von den Grundlagen der Motorsteuerung, die Boston Dynamics bereits so gut beherrscht."
Es werde nicht deutlich, warum die Robotik in der realen Welt so schwierig sei. Das Besorgniserregendste an der Präsentation sei allerdings nicht das Fehlen einer außergewöhnlichen Demo, sondern das Fehlen der Erkenntnis, was dazu überhaupt erforderlich wäre.
Ergibt ein humanoider Roboter Sinn?
Animesh Garg, Assistenzprofessor für Künstliche Intelligenz an der Universität Toronto, beschäftigt sich in seinem Beitrag, mit der Frage, warum man überhaupt einen humanoiden Allzweckroboter entwickeln sollte, wenn einfachere Systeme doch besser realisierbar wären.
Laut Garg ist die Entwicklung eines humanoiden Bots ein „Null-zu-Eins-Problem“. Dabei gebe es keine Einnahmen, solange das System nicht funktioniere und keinen Mehrwert liefere. Das mache Investitionen in der Regel schwierig.
Garg vergleicht die Entwicklung mit der von autonom fahrenden Autos. Erst, wenn eine nahtlose Integration in bestehende menschliche Umgebungen realisiert werde, zahle sich die Investition aus. Für Menschen erschaffene Infrastruktur müsse nicht erst umgerüstet werden, um Maschinen wie Autos oder Roboter darin unterzubringen.
Die kabelgeführten Hände des humanoiden Tesla Bots sieht Garg mit gemischten Gefühlen. Sie hätten zwar eine ordentliche Ladekapazität, scheinen allerdings mit einer langsamen Reaktionszeit zu kämpfen.
Insgesamt sei der aktuelle Entwurf ein guter erster Schritt. „Das Interesse am Bau solcher Systeme ist zu begrüßen, denn das Engagement von Tesla und Elon Musk bringt Aufmerksamkeit, Talent und Ressourcen für das Problem und setzt ein Schwungrad des Fortschritts in Gang.“
Tesla-Bot ist Standard, aber nicht umwerfend
Christensens Kollege, Christian Hubicki, meldete sich auf Twitter zu Wort. Der Robotik-Professor der Florida State University lobte ebenfalls den Fortschritt von Tesla innerhalb des letzten Jahres. Das Gezeigte bezeichnet er allerdings als Standard für humanoide Roboter im Jahr 2022.
Elon Musk revealed the #TeslaBot today and I have #robotics thoughts.https://t.co/BMyNcjI12J
🧵— Christian Hubicki (@chubicki) October 1, 2022
Laut Hubicki scheine Optimus die Laufmethode Zero Moment Point (Erklärung) oder kurz „ZMP“ zu verwenden. Diese Methode werde schon seit Jahrzehnten eingesetzt und käme auch in berühmten Robotern wie Hondas Asimo zum Einsatz. Diese Methode des Gehens ist laut Hubicki zwar „ziemlich sicher, aber im Jahr 2022 nicht umwerfend.“
Einen wichtigen Faktor für den Einsatz in der Industrie spricht Hubicki ebenfalls an: die Zuverlässigkeit. Anhand eines „coolen Videos oder sogar einer Live-Demo“ könne man nicht beurteilen, wie oft der Roboter Objekte fallen lasse oder gar stürze.
Weniger beeindruckend als Hondas Asimo
Auch Georgia Chalvatzaki, Assistenzprofessorin an der Technischen Universität Darmstadt und Forscherin bei Hessian.ai, zieht den Vergleich zu Hondas Asimo: „Wenn ich mir den Tesla Bot als Robotikerin ansehe, bin ich beeindruckt von dem, was die Ingenieure in einem Jahr für diesen Prototyp geleistet haben. Allerdings sind die gezeigten Verhaltensweisen weniger beeindruckend als die des Asimo von Honda vor 20 Jahren.“
Chalvatzaki zeigt sich allerdings begeistert von der Idee einer billigen und zugänglichen Hardware: „Die Elektromotoren mit Batterieunterstützung könnten ein sehr gutes Werkzeug für die akademische Forschung sein. Es braucht viel mehr, um Manipulationen zu lösen, aber die Wissenschaft freut sich auf die Hardware.“
Harsche Kritik von der Konkurrenz: Nichts davon ist bahnbrechend
Ebenfalls via Twitter kommentierte Cynthia Yeung, Leiterin der Produktabteilung bei Plus One Robotics, die Tesla-Bot-Show. Yeung zeigt sich kritisch und stellt das Geschäftsmodell infrage: „Ich denke, Elon Musk scheint vom Ansatz von Boston Dynamics in Bezug auf Roboter (Form über Funktion) angetan zu sein, im Gegensatz zu dem, woran viele andere Leute arbeiten (die Form folgt der Funktion).“
"We believe the human form is really important." - what was the name of the woman again?
How many hours does the battery on this thing last? I can't imagine it lasts much longer than @BostonDynamics Stretch. pic.twitter.com/KzRgmBi7il
— Cynthia Yeung 🤖📦🌱 (@ctwy) October 1, 2022
Laut Yeung konzentriere sich Tesla zu sehr darauf, Optimus zum Laufen gebracht zu haben. Die Lösung dieser Herausforderung löse allerdings nicht unbedingt Probleme in der realen Welt. Die Nachbildung einer menschlichen Hand sei nicht zwingend besser als ein einfacher Greifer mit zwei oder drei Fingern oder Saugsysteme.
„Es gibt einen Grund, warum alle Lagerhaus-Startups keine handähnlichen Manipulationsmechanismen verwenden“, so Yeung. Keine der technischen Eigenschaften des Tesla Bots sei bahnbrechend.
Schwerfällig, klobig und wenig energieeffizient
Auch Will Jackson, CEO des britischen Herstellers von humanoiden Unterhaltungsrobotern Engineered Arts, zieht im Interview mit The Verge Vergleiche zu Hondas eingestellten Asimo-Robotern. Das Konzept sei fast identisch.
Jackson weiter: „Das Gesamtdesign ist schwerfällig, klobig und wenig energieeffizient – die Hände sind sehr einfach, das einzige positive Merkmal ist ein Kupplungsmechanismus für die Fingerbetätigung. Wenn Sie wissen wollen, wie weit sie von menschlichen Bewegungen und Fähigkeiten entfernt sind, vergleichen Sie die letztjährige Enthüllung – ein Mann in einem Roboteranzug – mit der diesjährigen tatsächlichen Hardware.“
Auch dem Konzept, einen humanoiden Roboter für niedere Arbeiten zu bauen, zeigt sich Jackson kritisch gegenüber: „Ich bin erstaunt, dass Musk sich an ein Publikum wenden kann, das von der Idee eines humanoiden Roboters so begeistert ist, ohne zu erkennen, dass sein Wunsch, mit einem Roboter zu interagieren, die eigentliche Killeranwendung ist. Dachte er, sie würden applaudieren, weil die Welt endlich einen humanoiden Roboter haben wird, der in einer Autofabrik ein Rohr anheben kann?“
Teslas Arbeit im Bereich der Künstlichen Intelligenz im Allgemeinen sowie den Einsatz der Ingenieur:innen lobt Jackson ausdrücklich. Die Demo sei eine außerordentlich mutige Live-Präsentation einer herkulischen Anstrengung, der es leider an Neuheit und Vorstellungskraft mangele. Für den nächstjährigen AI-Day erhofft er sich eine Kurskorrektur.