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KI-Tools halten Einzug ins Klassenzimmer: Auch in Schulen generieren Schüler:innen mittlerweile auf Knopfdruck Texte, Präsentationen, Bilder und Übersetzungen. Wie können Lehrkräfte mit den neuen Möglichkeiten von KI umgehen?

Für viele Lehrkräfte stellt sich die Frage nach der Selbstständigkeit von Hausaufgaben, Präsentationen und – besonders sensibel – von Prüfungsleistungen. Wie sollen sie Klassenarbeiten und Klausuren bewerten, wenn nicht eindeutig gesichert ist, von wem die Prüfungsleistung stammt – Prüfling oder KI?

Ein gängiger Reflex auf digitale Entwicklungen im Bildungswesen ist, diese Möglichkeiten zu reglementieren, digitale Endgeräte in Prüfungsmodi ohne Netzzugriff zu versetzen, oder KI-Tools zu verbieten.

Das Evangelisch Stiftische Gymnasium (Gütersloh) geht den gegenteiligen Weg: Seit 20 Jahren sind dort Laptops und iPads im flächendeckenden Einsatz. GPT-3 und Co. werden im Deutschunterricht praktisch erprobt und sind sogar bei der Klassenarbeit erwünscht.

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Die Schule experimentiert seit Beginn der Pandemie mit zeitgemäßeren und digitalen Prüfungsformaten, die stärker an der späteren Lebenswirklichkeit orientiert sind. Zu dieser neuen Prüfungskultur zählt auch die KI-Klassenarbeit: Schüler:innen können ihre Arbeit komplett oder in Teilen mit Unterstützung durch eine Text-KI schreiben.

Doch widerspricht der Einsatz von KI-Tools nicht dem Kerngedanken von Prüfungen: dass Schüler:innen Leistungen eigenständig erbringen müssen?

Nicht unbedingt. Es gibt bei der KI-Klassenarbeit eine Vorgabe, die das verhindert: Übernommene Teile – wie bei Zitaten üblich – werden als fremde Textteile kenntlich gemacht. Die Schüler:innen müssen am Ende in einem Reflexionsteil begründen, warum sie bestimmte Teile ihrer Klassenarbeit von der KI übernommen oder auch bewusst selbst verfasst haben.

Klassenarbeit mit KI: Schüler und Schülerinnen lernen Eigenverantwortung

Die Klasse 8a sitzt am Prüfungstag gespannt im Klassenraum. Die Schüler:innen werden schriftliche Argumentationen verfassen, natürlich am Laptop – kein Prüfungsmodus, keine Einschränkungen beim Netzzugang, freier Zugang zu KI-Tools.

Sie tippen die Argumentationsthemen in die Eingabemaske der Schreib-KI ein. Nach wenigen Sekunden liegt der fertige Argumentationstext vor.

Empfehlung

Wer meint, die Jugendlichen könnten sich jetzt zurücklehnen, irrt. Die Arbeit fängt für die Prüflinge erst richtig an: Sie müssen den KI-Text kritisch unter die Lupe nehmen.

Im Unterricht hatten die Schüler:innen zuvor gelernt, dass es unklug ist, KI erzeugte Texte einfach zu übernehmen: So richteten sie zum Beispiel in der Woche vor der Klassenarbeit die Frage an die KI, ob die Nutzung von Smartphones in Schulen erlaubt sein solle. Die meisten KI-Texte sprachen sich für ein Smartphone-Verbot aus und priesen die Vorzüge eines rein analogen Unterrichts mit zum Teil wirren Argumenten ohne Belege an, etwa, dass Schüler:innen in der Schule zu viele SMS schreiben.

Vier Probleme bei der KI-Klassenarbeit und wie Schülerinnen mit ihnen umgehen

  • KI-Texte reproduzieren teilweise gesellschaftliche Stereotypen und konservative Sichtweisen.
  • Text-KIs greifen auf veraltete Informationen zurück – GPT-3 etwa ist auf dem Trainingsstand von 2019.
  • Grammatikalisch und stilistisch sind viele KI-Texte in deutscher Sprache stark verbesserungswürdig.
  • Arbeitsaufträge werden von der KI oft nur unzureichend erfüllt oder die KI weicht vom Thema ab, liefert bei Argumenten zu selten Belege.

Dass bei KI-Texten noch Luft nach oben ist, zeigt ein Sprachwechsel: Englischsprachige KI-Texte sind deutlich aktueller, elaborierter und konsistenter.

Dies regte die Schüler:innen dazu an, mehrere KI-Tools zu kombinieren: Sie starteten mit einer englischsprachigen Anfrage für englische Texte. Die Übersetzung in ihre Muttersprache erfolgte dann mit einem KI-Übersetzungstool (deepl.com). Danach fand eine stilistische und grammatikalische Überarbeitung mit LanguageTool oder Papyrus Autor statt.

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In der Klassenarbeit gibt sich kein Schüler und keine Schülerin mit dem ursprünglich erzeugten KI-Text zufrieden. Gelungene Passagen übernehmen die Schüler:innen in die eigene Argumentation.

Größtenteils dienen die KI-Texte als Steinbruch für Ideen oder als Wetzstein für die eigene Position, da sie mit neuen, auch der eigenen Position widersprechenden Argumenten konfrontiert werden.

Viele Jugendliche recherchieren zusätzlich im Netz, um die Angaben in den KI-Texten zu überprüfen oder um zusätzliche Belege, Meinungen von Experten und Expertinnen und Studien zu sichten. Sie kombinierten – wie oben beschrieben – oft mehrere KI-Tools, um zu besseren Ergebnissen zu gelangen.

Nach 90 Minuten geben die Schüler:innen beide Teile – die Argumentation und den Reflexionsteil – ab. Sie fließen zu gleichen Teilen in die Note ein.

Schüler:innen nehmen KI-Text- und Bildsysteme als Unterstützung an, aber sehen sie nicht als Ersatz für die eigene Arbeitsleistung. Zukünftige Experimente könnten etwa vorsehen, dass Schüler:innen von DALL-E 2 anhand von literarischen Texten generierte Bilder interpretieren. | Bild: DALL-E 2 prompted by THE DECODER

Schüler verlassen sich nicht blind auf KI

Die Klassenarbeit mit KI schafft eine zentrale Einsicht: Kein Schüler und keine Schülerin hat sich blind auf die KI-Texte verlassen.

Wer vor der Klassenarbeit nicht wusste, wie eine Argumentation aufgebaut und geschrieben wird und wem das Fachwissen fehlt, ist zudem im Umgang mit den KI-Texten überfordert, übernimmt unkritisch falsche Informationen und profitiert nicht von den vorgeschlagenen Argumentationen.

Die Schüler:innen empfanden die KI-Textvorschläge als hilfreich und entlastend. Sie möchten auch zukünftig KI-Tools bei Klassenarbeiten nutzen.

Vielleicht wird sich ihr Wunsch bald erfüllen: Die nächste Idee ist, die Bild-KI DALL-E 2 mit literarischen Texten zu füttern, um ausgehend von den erzeugten Bildern, die man als visuelle Interpretation des Textes ansehen kann, eine eigene Analyse des Textes anzufertigen, die auf die KI-Bilder Bezug nimmt.

Künstliche Intelligenz macht Schulunterricht anspruchsvoller: Ein Teil der Schüler:innen wird KI verwenden, um weniger zu arbeiten und um KI-Erzeugnisse als eigene Lernprodukte auszugeben.

Ein anderer Teil wird die KI-Tools nutzen, um längst beherrschte Routineaufgaben auszulagern und mehr Zeit für komplexe und interessante Fragen zu haben. Gerade deshalb ist die Beschäftigung mit KI und der reflektierte Umgang damit in der Schule auch eine Frage der Bildungsgerechtigkeit.

Das Evangelisch Stiftische Gymnasium sucht nach Partnern, die weitere Einsatzmöglichkeiten von KI an Schulen erproben wollen. Wer Interesse an einer Kooperation hat, kann sich bei Hendrik Haverkamp via Twitter oder Linkedin melden.

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Zusammenfassung
  • Am Evangelisch Stiftische Gymnasium durften Schüler:innen eine Klassenarbeit mit Text-KI-Tools schreiben.
  • Zuvor lernten sie die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme im Unterricht kennen.
  • Das Ergebnis der Klassenarbeit: Die Schüler:innen gehen reflektierter mit den KI-Texten um und sehen KI-Werkzeuge als Unterstützung statt als Hausaufgaben-Automatik.
  • Wer vor der Klassenarbeit nicht wusste, wie eine Argumentation aufgebaut und geschrieben wird und wem das Fachwissen fehlt, ist zudem im Umgang mit den KI-Texten überfordert.
Hendrik Haverkamp

Hendrik Haverkamp ist Koordinator für Digitalität am Evangelisch Stiftischem Gymnasium Gütersloh und Lehrer für die Fächer Deutsch und Sport. Er ist Vorsitzender des Instituts für zeitgemäße Prüfungskultur.

Als Referent liegt der Schwerpunkt seiner Fortbildungs- sowie Moderationstätigkeiten im Bereich der Schul- und Unterrichtsentwicklung unter den Bedingungen der Digitalität.

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