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Das Gesetz zum autonomen Fahren ist wieder auf Kurs. Wurde der viel kritisierte Umgang mit Bewegungsdaten korrigiert?

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Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) veröffentlichte im Oktober letzten Jahres ein Infopapier über das geplante Gesetz zum autonomen Fahren. Darin kündigte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer an, Deutschland zur Weltspitze beim autonomen Fahren machen zu wollen. Ein neuer Gesetzentwurf sollte die Regeln für das Autofahren der Zukunft schaffen.

Im Januar lehnte das Bundesjustizministerium den Entwurf jedoch ab. Der Umgang mit personenbezogenen Bewegungsdaten sei nicht mit der Datenschutzgrundverordnung zu vereinen. Knapp einen Monat später beschließt das Bundeskabinett den Gesetzentwurf nun doch und macht den Weg für autonomes Fahren in Deutschland frei.

Dennoch wird der Gesetzentwurf stark kritisiert. Besonders Datenschützern dürfte das Gesetz nach wie vor Kopfschmerzen bereiten - aber auch eine technische Regel sorgt für Unverständnis.

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Gesetzesentwurf zum autonomen Fahren: Datenschutz als Stolperstein

Das BMVI will mit seinem Entwurf autonome Kraftfahrzeuge der Stufe 4 bundesweit im Regelbetrieb des öffentlichen Straßenverkehrs zulassen. In diesen Fahrzeugen werden Menschen von Fahrern zu Passagieren und müssen nicht mehr ins Fahrgeschehen eingreifen.

Bundesverkehrsminister Scheuer sieht aus dem Fenster eines autonomfahrenden Busses.
Bundesverkehrsminister Scheuer ist mit seinem Gesetz zum autonomen Fahren wieder auf Kurs. | Bild: BMVI

Bis Mitte 2021 soll das Gesetz beschlossen sein. Das Bundesjustizministerium (BMJV) gefährdete dieses ambitionierte Ziel und lehnte den Gesetzesentwurf vorerst ab. Dieser erste Entwurf sah unter anderem vor, dass erfasste Daten auf Anfrage an das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz weitergeleitet werden können.

Autonome Fahrzeuge scannen ihre Umgebung mit Kameras, Radar- und Lidar-Sensoren. Dabei werden große Datenmengen erfasst, die Aufschluss über Standorte und Fahrtrouten der Passagiere geben können. Da es sich dabei um sensible personenbezogene Daten handelt, aus denen sich Bewegungsprofile der Insassen erstellen lassen, lehnte das BMJV eine solche „Datenübermittlungsregelung“ strikt ab.

Der fehlende Schutz dieser Daten widerspreche der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die Verfügungsgewalt über die Daten müsse einzig und allein bei den Fahrzeughaltern liegen. Hersteller sollten es Haltern ermöglichen, Daten selbst zu speichern und dürften weder in den AGB noch in Kaufverträgen einen Verzicht auf die Datenhoheit des Besitzers festlegen.

Verbraucherschutz fordert Sonderregelung für Privathalter

Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. schaltete sich Anfang Februar mit einer Stellungnahme ein. Darin fordern die Verbraucherschützer, den Anwendungsbereich der Regelungen zum autonomen Fahren vorläufig auf gewerbliche Halter zu beschränken. Die Bundesregierung müsse sich für das wichtige Thema „Mobilitätsdaten“ mehr Zeit lassen.

Empfehlung

Das private Halten von autonom fahrenden Kraftfahrzeugen solle nicht mehr in dieser Legislaturperiode geregelt werden. Es brauche ein separates, verkehrsmittelübergreifendes Mobilitätsdatengesetz unter Beteiligung aller relevanten Interessengruppen. Zudem sollten Daten mit Personenbezug vor der Verarbeitung unbedingt anonymisiert werden.

Bundeskabinett billigt Gesetzesentwurf trotz fragwürdiger Datenregelungen

Das Bundesverkehrsministerium ist nun entgegen aller Kritik wieder auf dem ursprünglichen Kurs: Das Bundeskabinett billigte den Referentenentwurf in seiner Sitzung am 10. Februar 2021. Doch was ist mit dem viel kritisieren Umgang mit Bewegungsdaten? Während der heutigen Bundespressekonferenz wirkte Tim Alexandrin vom BMVI auf Nachfragen zum Thema Datenschutz nervös.

Auf die konkrete Frage, ob die vom Bundesjustizministerium kritisierte Datenübermittlungsregelung überarbeitet worden sei, hieß es von ihm nur, er müsse die Information nachreichen. Ein Blick auf den abschließenden Gesetzesentwurf zeigt, dass das Thema Datenschutz nach wie vor diskutiert werden muss.

Im Absatz "Datenverarbeitung" heißt es dort, der Halter sei verpflichtet, gewisse Daten zu speichern und dem Kraftfahrt-Bundesamt und der nach Landesrecht zuständigen Behörde auf Verlangen zu übermitteln.

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Die vom Bundesjustizministerium kritisierte Datenübermittlungsregelung bleibt also bestehen.

Welche Daten der Halter speichern und zur Verfügung stellen muss, ist klar definiert. Neben der Fahrzeugidentifizierungsnummer gehören auch Positionsdaten sowie Anzahl und Zeiten der Nutzung der autonomen Fahrfunktion zu den insgesamt dreizehn Datenarten.

Kritik vom IT-Branchenverband: Funkverbindung sollte keine technische Voraussetzung sein

Der IT-Branchenverband Bitkom meldete sich schon letzte Woche mit einer zehnseitigen Stellungnahme zu Wort. Darin äußerte sich der Verband grundsätzlich wohlwollend über das Vorhaben, einen gesetzlichen Rahmen für autonomes Fahren schaffen zu wollen.

Der vorliegende Referentenentwurf sehe eine Reihe wichtiger Anpassungen vor, beinhalte aber auch kritikwürdige Punkte. Einer davon sei die Vorschrift, dass autonome Fahrzeuge aus Sicherheitsgründen permanent über Funk mit einer technischen Leitstelle verbunden sein müssten.

Das Cockpit des autonomen Fahrzeugs 5G-Ride.
Der neue Gesetzentwurf zum autonomen Fahren sieht eine permanente Verbindung vom Fahrzeug zu einer technischen Leitstelle vor. | Bild: Telia (YouTube)

Im Falle einer Signalstörung sollen sich die Fahrzeuge in einen „risikominimalen Zustand“ versetzen, in dem unter angemessener Beachtung der Verkehrssituation die größtmögliche Verkehrssicherheit für andere Verkehrsteilnehmende und Dritte gewährleistet werde.

Laut Bitkom würde dieser Zustand allerdings zusätzliche Risiken schaffen, statt sie zu minimieren und den Verkehrsfluss stören. In einer Pressemitteilung äußert sich Bitkom-Präsident Achim Berg folgendermaßen: „Eine Funkverbindung ist keine technische Voraussetzung, damit Fahrzeuge in einem autonomen Fahrmodus fahren können und sollte somit auch keine gesetzliche Voraussetzung sein.“

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Offene Fragen des Datenschutzes müssten ebenfalls dringend geklärt werden, damit entsprechende Risiken nicht zulasten von Haltern oder Herstellern gehen. Berg befürchtet zudem, ein Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Hersteller könne diese davon abhalten, hierzulande Zulassungen für autonome Fahrzeuge zu beantragen. Unternehmen müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, vertraglich festzulegen, unter welchen Bedingungen und mit wem die vom Fahrzeug generierten Daten geteilt werden.

Gesetzesentwurf zum autonomen Fahren: Stimmen aus der Wissenschaft

Prof. Dr. Markus Maurer ist Leiter der Arbeitsgruppe Elektronische Fahrzeugsysteme am Institut für Regelungstechnik der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig. Er sieht den Sicherheitsgewinn durch eine technische Aufsicht ebenfalls als fragwürdig an.

Untersuchungen Rahmen des Projekts UNICARagil hätten gezeigt, dass eine Leitwarte keinen wesentlichen Beitrag zur Betriebssicherheit leisten könne: „Dafür sind Reaktionen aus der Leitwarte viel zu langsam. Menschen sind generell schlechte Überwacher, das ändert sich nicht, wenn sie in einer Leitwarte sitzen“, so Maurer.

Permanente Funkverbindung schürt Sicherheitsbedenken

Die Forderung im Gesetzestext nach ausreichend sicheren Funkverbindungen, insbesondere zur technischen Aufsicht, offenbare laut Maurer eine weitere Schwachstelle: Funkverbindungen seien im Allgemeinen für diese Anwendungen ungeeignet, da sie leicht durch Umwelteinflüsse oder Störsender beeinträchtigt werden könnten. Durch die permanente Funkverbindung würden sich zudem Risiken in den Bereichen Cybersicherheit und Datenschutz ergeben.

In puncto Sicherheit werden im aktuellen Gesetzesentwurf vor allem die Hersteller verstärkt in die Pflicht genommen. Sie müssen Sorge tragen, dass stets eine stabile Funkverbindung zur Zentrale möglich ist und gewährleisten, dass das System vor eventuellen Angriffen durch Dritte sicher ist. Auch das maschinelle Lernen wird reglementiert.

Funktionen, die das autonome Fahren ermöglichen, verändern oder verbessern, dürfen nicht selbstständig durch die Künstliche Intelligenz des Fahrzeugs aktiviert werden. Jede Änderung am System muss über ein vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigtes Software-Update erfolgen.

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Der Gesetzesentwurf des Bundesverkehrsministeriums geht nun zur weiteren Prüfung an Bundestag und Bundesrat. Ein EU-Notifizierungsverfahren ist bereits eingeleitet. Werden durch öffentlichen Diskurs und Kritik aus Wissenschaft und Verbraucherschutz keine weiteren Überarbeitungen angeregt, tritt das Gesetz wohl im Mai dieses Jahres in Kraft.

Titelbild & Quelle: BMVI

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Josef schreibt für THE DECODER über Robotik, autonomes Fahren, vernetzte Städte und smarte Geräte. Träumt von einem Smart Home, in dem sämtliche Sprachassistenten friedlich koexistieren.
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