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Ein Team von KI-Historikern und Computerexperten hat den wahrscheinlich weltweit ersten Chatbot wieder zum Leben erweckt. ELIZA läuft erstmals seit über 60 Jahren wieder auf seinem ursprünglichen Betriebssystem.

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ELIZA, der erste Chatbot der Welt, ist wieder einsatzbereit. Ein Forscherteam hat den von Joseph Weizenbaum am MIT in den frühen 1960er Jahren entwickelten Code erfolgreich restauriert und zum Laufen gebracht - auf einer emulierten Version des MIT Compatible Time-Sharing Systems (CTSS), dem ersten Mehrbenutzerbetriebssystem der Welt.

Der Durchbruch gelang, nachdem Forscher 2021 den Original-Code von ELIZA in Weizenbaums Archiven am MIT entdeckt hatten. Die gefundene Version enthält das vollständige DOCTOR-Skript, das eines Rogerianschen Psychotherapeuten simuliert und ELIZA scheinbar Gespräche verstehen lässt. Zuvor gab es nur ELIZA-Klone in anderen Programmiersprachen.

Terminalausgabe des ELIZA-Chatbots auf CTSS mit Versionsnummer 1835.0, zeigt Dialog über "Men are all alike" mit typischer Rückfrage.
Der historische ELIZA-Chatbot demonstriert seine charakteristische Gesprächsführung auf dem CTSS-System. Die Interaktion zeigt die typische therapeutische Gesprächstechnik, bei der ELIZA Aussagen des Nutzers aufgreift und als Fragen zurückspiegelt. | Bild: Lane et al.

Die Restaurierung von ELIZA war nach Angaben der Forscher ein komplexes Unterfangen. Das Team musste 2.600 Zeilen schlecht dokumentierten Codes manuell transkribieren, fehlende Funktionen ergänzen und verschiedene Probleme beheben. Die restaurierte Version läuft auf einem emulierten IBM 7094-Computer - einer Maschine, die in den 1960er Jahren 2,9 Millionen Dollar kostete, was laut der Forscher heute etwa 23 Millionen Dollar entspräche.

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Verborgener Lernmodus entdeckt

Bei der Restaurierung wurde ein bisher unbekannter "Lehrmodus" entdeckt, mit dem Benutzer ELIZAs Verhalten modifizieren konnten. Durch Eingabe von "+" konnten neue Regeln und Antworten hinzugefügt werden, wie das Anhängen oder Ersetzen von Antwortregeln - eine Funktion, die in Weizenbaums Veröffentlichung von 1966 über ELIZA nur kurz erwähnt wurde.

Die Forscher entdeckten auch einen bedeutenden Fehler: Die restaurierte ELIZA stürzt ab, wenn Benutzer Zahlen eingeben. Das Team entschied sich dagegen, diesen Fehler zu beheben, um die historische Authentizität zu bewahren. 96 Prozent des Codes bleiben exakt wie gefunden.

Die restaurierte Version von ELIZA steht nun der Öffentlichkeit bei Github zur Verfügung. Interessierte können den kompletten Code und das Emulator-Set-up herunterladen, um selbst mit dem ersten Chatbot der Geschichte zu interagieren - inklusive aller historischen Macken und Eigenheiten. Die Forscher suchen weiterhin in Archiven nach weiteren oder früheren Versionen von ELIZA und bitten um Hinweise auf mögliche Fundorte.

Von ELIZA zu ChatGPT: Die ewige Frage nach dem "Verstehen"

Bis heute ist laut der Forscher nicht eindeutig geklärt, ob ELIZA als ernsthafte KI-Anwendung oder als kritischer Kommentar zur KI-Forschung gedacht war. Einerseits war Weizenbaum eng mit der damaligen KI-Szene verbunden, etwa durch seine Zusammenarbeit mit dem Stanford-Psychiater Kenneth Colby, der psychische Erkrankungen mit KI modellieren wollte.

Andererseits zeigte ELIZA durch ihre simple Funktionsweise auch die Grenzen der KI auf: Der Chatbot erweckte nur den Anschein von Verständnis, während er tatsächlich lediglich vorgefertigte Antwortmuster nutzte.

Empfehlung

Die Ambiguität von ELIZA als KI-Projekt ist besonders im Kontext der aktuellen Diskussion um Chatbots wie ChatGPT interessant. Auch heute noch diskutieren Experten darüber, ob moderne Sprachmodelle wirklich "verstehen" oder nur Muster auf Basis von Wahrscheinlichkeiten reproduzieren und wo genau der Unterschied liegt.

"Es zeigte sich zum Teil in seiner [ELIZAs] offenkundigen Dummheit, dass man vielleicht nicht wirklich Intelligenz lösen muss, um künstliche Intelligenz zu erhalten – bis zu diesem Punkt und bis zu der spektakulären und unerwarteten scheinbaren Intelligenz von LLMs – versuchten die Menschen zu modellieren, wie Menschen denken, und diese Prozesse in Computern zu kodieren", schreiben die Forscher.

Diese Idee erlebt gerade eine gewisse Renaissance: OpenAI versucht mit seinen neuen o-Modellen, den menschlichen Denkprozess mit den Möglichkeiten eines Sprachmodells automatisch zu simulieren, durch mehr Rechenleistung zu skalieren und so zu genaueren Antworten zu kommen.

Auch wenn das LLM dafür vermutlich ein Vielfaches des menschlichen "Rechenaufwands" aka Energie benötigt, zeigt sich hier eine interessante Parallele zu ELIZA: Der Weg zur künstlichen Intelligenz führt möglicherweise nicht über das exakte Nachbilden menschlicher Kognition, sondern über das Erreichen ähnlicher Ergebnisse mit anderen Mitteln.

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In jedem Fall hatte Eliza, ob beabsichtigt oder nicht, einen großen Einfluss auf die KI-Entwicklung, da der Chatbot erstmals den Turing-Test verkörperte und die Idee in die Welt brachte, dass Menschen mit Computern sprechen können, schreiben die Forscher. Diese Idee ist rund 60 Jahre später aktueller denn je.

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Zusammenfassung
  • Ein Forscherteam hat den weltweit ersten Chatbot ELIZA aus den frühen 1960er Jahren erfolgreich restauriert und auf einem emulierten Betriebssystem aus der damaligen Zeit zum Laufen gebracht.
  • Bei der Restaurierung entdeckten die Forscher unter anderem einen bisher unbekannten "Lehrmodus", mit dem Nutzer ELIZAs Verhalten durch neue Regeln und Antworten modifizieren konnten.
  • ELIZA verkörperte erstmals die Idee des Turing-Tests und zeigte, dass Menschen mit Computern sprechen können. Ihre simple Funktionsweise warf aber auch die bis heute diskutierte Frage auf, ob KI wirklich "versteht" oder nur Muster reproduziert - eine Parallele zur aktuellen Debatte um moderne Chatbots wie ChatGPT.
Quellen
Online-Journalist Matthias ist Gründer und Herausgeber von THE DECODER. Er ist davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Beziehung zwischen Mensch und Computer grundlegend verändern wird.
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