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Der bewaffnete Roboter-Hund von Ghost Robotics bedient dystopische Ängste, weil er Erinnerungen an autonome Mördermaschinen aus Science-Fiction-Welten weckt. Doch wenn wir Form und Funktion für einen Moment trennen, ist der Gewehrhund noch das geringste Problem.

Boston Dynamics Roboterhund Spot steht immer wieder im Zentrum dystopischer Fantasien – trotz regelmäßiger verniedlichender Tanzeinlagen und Beteuerungen seitens des Herstellers, dass der Roboter nicht für militärische Zwecke eingesetzt werden darf. Diese Dystopien werden unter anderem durch Bilder bedient, in denen Roboterhunde von Polizeieinheiten und Militärs für die Aufklärung getestet werden. Die vierbeinigen Roboter sind deutlich geländegängiger als bisherige Robotersysteme und lassen sich durch rutschiges Eis, weichen Sand oder steile Treppen nicht aufhalten.

Dass ein Roboter wie Spot Ängste auslösen kann, zeigte sich diesen Mai konkret am Beispiel der New Yorker Polizei: Sie testete Spot für die Aufklärung, gab den Roboter aber nach Protesten der Bürgerinnnen und Bürger zum Hersteller zurück. Ein Sprecher der Stadt bezeichnete Spot als "gruselig" und "befremdlich".

Ghost Robotics baut ein Gewehr auf vier Beinen

Ghost Robotics hat sich auf die Herstellung militärischer Roboter spezialisiert, also genau auf den Bereich, den Boston Dynamics derzeit nicht bedienen will. Boston Dynamics hat allerdings eine militärische Vergangenheit.

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Anders als Boston Dynamics versucht Ghost Robotics gar nicht erst, den eigenen Geräten ein Image zu verpassen, das an Mensch oder Tier erinnern könnte: "Wir versuchen, sie nicht als Roboterhunde zu bezeichnen", sagt Präsident und Geschäftsführer Jiren Parikh über die eigenen Geräte. "Wir bezeichnen sie als Q-UGVs: Quadrupedal Unmanned Ground Vehicles."

Ghost Robotics "Vision 60 Q-UGV" sieht Spot zum Verwechseln ähnlich, soll jedoch deutlich haltbarer sein und sich durch unwegsames Gelände wie schneebedeckte Berge oder Schlamm durcharbeiten können. Der Roboter wurde bereits Anfang 2020 von der US Air Force getestet und wird auf Probe zur Sicherung der Tyndall Air Force Base in Florida eingesetzt. Das Q-UGV lässt sich außerdem mit zahlreichen Sensoren sowie für die Bombenräumung ausstatten.

Ghost Robotics Roboterhund im Schnee
Ghost Robotics baut robuste Roboter für das Militär. | Bild: Ghost Robotics

Auf der diesjährigen Messe der Association of the U.S. Army (AUSA) in Washington, D.C. stellte Ghost Robotics nun in Kooperation mit dem Waffenhersteller SWORD International eine bewaffnete Version von Vision 60 Q-UGV vor. Die Variante trägt den Namen "Special Purpose Unmanned Rifle" (SPUR) und soll mit dem bisher nur von Spezialkräften eingesetzten 6,5 mm Kaliber Ziele in bis zu 1.200 Metern Entfernung angreifen können.

Laut SWORD International ist SPUR vollständig ferngesteuert und verfügt über keinerlei autonome Fähigkeiten. SPUR sei die Zukunft unbemannter Waffensysteme – und diese Zukunft sei jetzt.

SPUR schießt bisher "nur" ferngesteuert

Auch wenn ein ferngesteuerter Roboterhund mit Gewehr auf dem Rücken besonders bedrohlich erscheinen mag – wahrscheinlich auch, weil sein unbewaffneter, tanzender Robo-Kollege eher niedlich wirkt – ist der Einsatz ferngesteuerter Waffen grundsätzlich keine neue Technologie. Die Sowjetunion testete bereits 1929 einen ferngesteuerten Panzer. Heute setzt nahezu jede große und kleine Militärmacht auf ferngesteuerte Waffensysteme. Beispiele sind die US-amerikanischen CROWS oder bewaffnete Drohnen.

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SPUR ist damit zunächst nur eine geländegängige und funktionierende Variante des 2007 im Irak getesteten Talon/SWORDS-Roboters, eine bewaffnete Version eines Roboters für die Bombenentschärfung. SWORDS wurde im Jahr 2008 außer Dienst gestellt, nachdem sich der Waffenarm in einigen Fällen unerwartet gedreht hatte.

Der autonome Kriegshund fletscht die Zähne

Doch SPUR ist auch ein Symbol eines Aufbruchs in der Rüstungsindustrie, die nach Jahrzehnten der Produktentwicklung und durch Fortschritte bei Künstlicher Intelligenz immer autonomere Waffensysteme produzieren kann und weltweit Abnehmer findet. Noch zielt und schießt SPUR nicht von allein – doch die dafür notwendige Technologie wäre leicht zu integrieren.

Der Einsatz von KI-Technologie im Krieg nimmt zu: Simple, mit Sprengkörpern ausgerüstete Drohnen, fortschrittliche Drohnen mit Luft-Boden-Raketen und herumlungernde Munition in Konflikten weltweit – zuletzt kriegsentscheidend in Aserbaidschan – haben Militärmächte wie die USA davon überzeugt, dass ein Verzicht auf KI ein Verzicht auf die militärische Vormachtstellung bedeutet. Die National Security Commission on Artificial Intelligence (NSCAI) sprach sich im März 2021 eindeutig gegen ein Verbot autonomer Waffen aus.

Bewaffnete Drohnen werden sich daher in den kommenden Jahren zum stetigen Begleiter und Gegner der Soldat:innen entwickeln. Wer auf YouTube die zahlreichen Zusammenschnitte der grausamen Präzision günstiger und zerstörerischer Kamikaze-Drohnen sieht, erhält einen Ausblick auf die Doktrin verändernde Kraft autonomer Waffen. Ein laufendes Gewehr, das einem Hund ähnelt und derzeit per Fernbedienung gesteuert wird, ist ein vergleichsweise geringes Problem.

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Der Grad der Autonomie der Waffensysteme wird sich voraussichtlich entlang der Bedrohungslage entwickeln: Dort, wo die Entscheidungsgeschwindigkeit eines Menschen und bestehender Systeme nicht mehr ausreicht, werden KI-Systeme Entscheidungen übernehmen.

Ein Beispiel könnte die Verteidigung gegen Hyperschall-Raketen werden. Letztere werden von England, Frankreich, Russland, China und den USA entwickelt: Sie könnten bestehende Raketenabwehrsysteme – auch solche gegen Nuklearwaffen – nutzlos und damit KI-gestützte Warn-, Abwehr- und Vergeltungssysteme attraktiv machen.

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Max ist leitender Redakteur bei THE DECODER. Als studierter Philosoph beschäftigt er sich mit dem Bewusstsein, KI und der Frage, ob Maschinen wirklich denken können oder nur so tun als ob.
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