Google lässt Gemini jetzt persönliche E-Mails im eigenen Stil schreiben. Was praktisch klingt, könnte Beziehungen verändern – und die Echtheit unserer Kommunikation untergraben.
Künstliche Intelligenz beeindruckt. Auch bei der Google I/O 2025 gab es wieder große Fortschritte: Gemini ist leistungsfähiger denn je, das neue Videotool Flow erstellt in Minuten ansprechende Clips, KI-generierte Inhalte wirken zunehmend natürlich. Als langjähriger KI-Fan war ich begeistert – bis Sundar Pichai eine neue Gmail-Funktion vorführte: personalisierte Smart Replies.
Wenn KI plötzlich für mich spricht
Das Beispiel klingt harmlos: Ein Freund fragt per Mail nach Tipps für eine Reise nach Utah – eine Tour, die Pichai selbst gemacht hat. Statt persönlich zu antworten, lässt er Gemini übernehmen. Die KI durchsucht sein Konto: frühere E-Mails, Drive-Dokumente, Fotos. Daraus entsteht eine Antwort, die klingt, als hätte er sie selbst geschrieben – inklusive bevorzugtem Tonfall, Lieblingswörtern wie "spannend" und praktischen Tipps wie "nicht länger als fünf Stunden pro Tag fahren".
Pichai erklärte stolz, Gemini erkenne typische Begrüßungen, analysiere den Stil und gleiche frühere Formulierungen ab. Natürlich könne man die generierte Nachricht noch anpassen – doch der Kern ist klar: Die KI liefert keine Vorlage, sondern eine fast perfekte Imitation.
Persönlich – aber nicht echt
Ich schätze KI sehr – zur Recherche, für Textvorschläge, für visuelle Ideen. Wenn Gemini hilft, Informationen zusammenzutragen oder Inhalte zu strukturieren, ist das nützlich. Doch hier geht es nicht um Arbeitsprozesse, sondern um Kommunikation zwischen Menschen: um Mailwechsel mit Freunden, Kolleg:innen, Familie.
Eine KI-generierte Antwort kann freundlich und empathisch klingen – aber sie ist nicht echt. Der Empfänger glaubt womöglich, die Nachricht sei mit Sorgfalt verfasst worden, basierend auf Erinnerungen, Überlegungen, persönlichem Engagement. Tatsächlich war es ein Klick und ein Sprachmodell.
Das kann Beziehungen verzerren. Wer eine solche Nachricht erhält, fühlt sich vielleicht emotional näher, als wirklich gemeint ist. In neuen oder losen Kontakten kann das schnell übertrieben oder unauthentisch wirken. Besonders im Dating-Kontext stellt sich die Frage: Meint die Person das wirklich – oder ist das nur Gemini-generierte Schwärmerei?
Bequemlichkeit mit Nebenwirkungen
Der Reiz liegt in der Effizienz. Gemini analysiert Dokumente, Fotos, Kalender und liefert in Sekunden eine durchdachte Antwort. Der Aufwand wirkt hoch, ist aber minimal. Genau das ist das Problem: Ein Klick suggeriert Mühe, wo keine war.
Kommunikation verliert an Echtheit, wenn sie nicht mehr Ausdruck eines Moments oder einer Haltung ist, sondern automatisch erzeugt wird. Wer so antwortet, wirkt engagiert – ist es aber nicht unbedingt. Das verändert die Beziehungsebene.

Natürlich gibt es Anwendungsbereiche, in denen das hilfreich ist. Im beruflichen Kontext etwa. Geschäftliche Mails sind ohnehin oft höflich, sachlich, distanziert – da kann eine gut geschriebene KI-Antwort sogar ein Vorteil sein. Man könnte, wenn nötig, sogar offenlegen: Diese Nachricht wurde mit KI-Unterstützung erstellt, weil gerade wenig Zeit ist. Transparenz schafft Vertrauen.
Aber in persönlichen Beziehungen sieht das anders aus. Wer sich auf authentische Kommunikation verlässt, will keine synthetischen Formulierungen. Freunde, Partner, Menschen, die einem nahestehen, sollen die echte Persönlichkeit erleben – auch in Textform. Dazu gehört, wie schnell (oder langsam) jemand antwortet. Wie ausführlich. Wie spontan oder nachdenklich.
Wenn all das ersetzt wird, entsteht ein Bruch zwischen dem digitalen Selbstbild und der realen Person. Eine Zukunft, in der KIs miteinander kommunizieren, während sich ihre Nutzer:innen entfremden, ist denkbar – aber nicht wünschenswert. Sobald man sich begegnet, merkt man: Die Nähe war nie echt, nur gut simuliert.
Fazit: Echtheit braucht Absicht
Smart Replies sind technisch beeindruckend – aber sie verschieben eine Grenze. Wo endet die Unterstützung, wo beginnt die Stellvertretung? Wer sich bei jeder automatisch erstellten Antwort fragt: Würde ich das auch so schreiben? – ist auf dem richtigen Weg. Denn je einfacher es wird, authentisch zu wirken, desto wichtiger wird es, es wirklich zu sein.