Forschende des Imperial College London werfen in einem Aufsatz einen Blick auf den aktuellen Stand von Gehirnschnittstellen und hinterfragen sie ethisch, sozial und rechtlich.
Die Forschung an Gehirninterfaces kommt derzeit primär Menschen mit Einschränkungen entgegen. Gerade in den letzten Monaten vermeldeten Forschende speziell dank Fortschritte bei Künstlicher Intelligenz eine Reihe signifikanter Durchbrüche.
Datenverarbeitende-KI hilft, den Wust elektronischer Signale im Gehirn in nutzbare Impulse zu übersetzen, etwa um aus dem Gedanken an Wörter am Computer-Screen Zeichen oder Sätze zu formen, damit gelähmte Menschen wieder schreiben können.
Mit Umsicht eine "düstere Cyborg-Zukunft" verhindern
In ihrem Aufsatz "Mind the gap: State-of-the-art technologies and applications for EEG-based brain-computer interfaces" für das Fachjournal APL Bioengineering diskutieren die Londoner Forscher die möglichen Risiken von BCIs.
Zwar benötigten BCIs noch "eine Reihe technologischer Fortschritte" vor einem breiteren Einsatz, aber "wichtiger sei es, dass sie viele soziale, ethische und legale Fragen aufwerfen". Beispielsweise könnten EEG-basierte BCIs (eBCIs) in beide Richtungen kommunizieren, was möglicherweise verändere, wie das Gehirn funktioniere.
Dr. Rylie Green, biomedizinische Ingenieurin am Imperial College und Mitverfasserin des Aufsatzes, beschreibt Verhaltensänderungen bei BCI-Probanden: "Für einige dieser Patienten werden die Geräte zu einem so integralen Bestandteil ihrer selbst, dass sie sich weigern, sie am Ende der klinischen Studie entfernen zu lassen", sagt Rylie Green. "Es wird immer deutlicher, dass Neurotechnologien das Potenzial haben, unsere menschliche Erfahrung und unser Selbstverständnis tiefgreifend zu verändern."
Datenschutz im Hirnschnittstellenzeitalter
Mit Blick auf den Datenschutz warnen die Forscher vor privaten Unternehmen, die eBCIs entwickeln und verkaufen und sich so möglicherweise Zugang zu neuralen Daten verschaffen. Mitautor Roberto Portillo-Lara beschreibt diese Möglichkeit als "besonders besorgniserregend", da es sich bei neuralen Daten wohl um die intimste Form privater Information handele.
Anhand von EEG-Daten könnten emotionale und kognitive Zustände erkannt werden, was "einen unvergleichlichen Einblick in die Absichten, Vorlieben und Emotionen der Benutzer geben" könne.
Per Gesetz zum Cyborg-Menschen, der biologische Grenzen überwindet
Es drohe eine weitere Verstärkung sozialer Ungerechtigkeit, wenn eBCIs nur die intellektuellen Fähigkeiten weniger Menschen mit Zugang zur Technologie erweitern, so die Forschenden. Sie schreiben von möglichen "extremen Ungleichheiten" im akademischen und beruflichen Umfeld.
"Die internationale Politik sollte auch die Verbreitung dieser Technologie mit Gleichberechtigung und Verantwortlichkeit garantieren, um die Verschärfung der aktuellen sozioökonomischen Ungleichheiten zu verhindern", heißt es im Fazit des Aufsatzes. Es müsse präventiv "ein klarer Weg in Richtung eines verantwortungsvollen Neuroengineerings" festgelegt werden.
Die Forschenden fordern stringente Gesetze, die "trotz der inhärenten Risiken von Neurotech" dafür sorgen, dass "zukünftige Innovationen den Sicherheits- und Neuroethikstandards entsprechen". Auch die ethischen Leitplanken beim BCI-Einsatz für Kinder oder Menschen mit Einschränkungen müssten geklärt werden.
"Trotz der potenziellen Risiken stellt die Möglichkeit, die Fähigkeiten des menschlichen Verstandes mit den Kapazitäten der modernen Technologie zu integrieren, eine beispiellose wissenschaftliche Errungenschaft dar, die unsere eigenen vorgefassten Meinungen darüber, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, infrage zu stellen beginnt", sagt Green.
Quellen: Forschungspapier, Pressemitteilung