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Das KI-Opernstück »chasing waterfalls«, am 03. September in der Dresdner Semperoper uraufgeführt, wirft Fragen zur menschlichen Existenz in unserem digitalen, von mächtigen Technologien, Algorithmen und Maschinen beherrschten Zeitalter auf. Getreu den Zeichen unserer Zeit werden dabei kaum erhellende Antworten generiert. Doch die Vielschichtigkeit der anspruchsvollen Inszenierung überrascht.

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Was passiert, wenn die Grenze zwischen Mensch und Maschine zunehmend verschwimmt? Wie weit greift die virtuelle Welt, greifen hochkomplexe digitale Technologien mitsamt ihren automatisierten Entscheidungsprozessen bereits in unseren Lebensalltag ein? Wann sind wir Mensch, wann vielleicht doch schon fremdgesteuerter Roboter?

Um derlei Fragen kreist die cross-mediale Operninszenierung, die unter Beteiligung mehrerer Künstler:innenkollektive, Opernsänger:innen, Musiker:innen der Sächsischen Staatskapelle Dresden und IT-Expert:innen entstand. Zum ersten Mal weltweit gestaltet Künstliche Intelligenz laut Veranstaltern dabei eine Hauptpartie, komponiert, textet und singt in Echtzeit.

Ich bin ich, bin ich nicht?

»Not convinced you are not a robot. Please try again« – mit diesen Worten wird die Protagonistin, die norwegische Sopranistin Eir Inderhaug, zu Anfang des Opernstücks beim morgendlichen Einloggen von ihrem Computer begrüßt.

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Als es ihr erst nach mehreren verzweifelten Versuchen gelingt, der Maschine ihre menschliche Identität zu beweisen, ist klar: Hier geht es um weitaus mehr als ein bloßes Opernexperiment mit Künstlicher Intelligenz, sondern um die existenzielle Frage nach unserem heutigen Sein, darum, wer entscheidet, wer wir sind – und wenn ja, wie viele?

Im weiteren Verlauf des Geschehens wird aufgezeigt, wie weit vorangeschritten das Ineinanderwirken von analogen und virtuellen Welten heutzutage bereits ist, und wie dies dem Individuum ein ganzes Spektrum an persönlichen Identitäten eröffnet.

Denn unsere digitalen Ausfaltungen, unsere selbst kreierten Digital Twins, sind oftmals extreme Abbilder unseres Selbst: perfekter, glücklicher und erfolgreicher, aber auch emotionaler, neugieriger, süchtiger und unbeständiger.

„Wer ich mir sein kann, möchte ich ahnen“: Protagonistin Eir Inderhaug (Reales Ich/Virtuelles Ich) mit ihren schlafenden digitalen Inkarnationen Schein, Glück, Kind, Zweifel und Erfolg. | Bild: Semperoper Dresden, Ludwig Olah

Im Stück werden sie verkörpert durch das forschende Kind, den trügerischen Schein, die Sehnsucht nach Erfolg, den nagenden Zweifel und die Verheißung von Glück, die als eigene Figuren jeweils um die Protagonistin herumschwirren und im Zusammenspiel mit ihr (inter-)agieren. Als weitere digitale Identität ist die KI selbst in Form einer acht Meter hohen kinetischen Lichtskulptur aus LED-Panels in das Bühnenbild integriert und sorgt für eine mysteriös funkelnde Ästhetik.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit KI

Erfrischend an der Inszenierung ist im wahrsten Sinne des Wortes der echte Wasserfall, der wie ein steter Bewusstseins- oder Datenstrom die Bühne hinabrauscht. Und auch die Tatsache, dass Künstliche Intelligenz nicht nur inhaltlich Thema des Opernstücks ist, sondern auch formell an seiner Entstehung beteiligt war, spricht für das ausgeklügelte Konzept: So kam OpenAIs KI-getriebenes Sprachmodell GPT-3 schon beim Schreiben des Librettos, des Textteils der Oper, zum Einsatz.

Empfehlung

Für Autorin Christiane Neudecker vom Künstler:innenkollektiv phase7 performing.arts Berlin ergab sich daraus sogar die Idee, eine ganze Szene sowohl textuell als auch singend live durch die KI zu gestalten.

KI schafft nicht nur ein ästhetisches Lichtspektakel, sondern gibt auch neue Einblicke in die menschliche Psyche. | Bild: Semperoper Dresden, Ludwig Olah

Auch die Partitur, ein Gemeinschaftsprojekt zwischen dem Hongkonger Komponisten Angus Lee und dem Berliner Studio for Sonic Experiences kling klang klong, wurde teilweise durch eine Künstliche Intelligenz komponiert.

Während Lee den klassischen Teil der Komposition für sechs Singstimmen und neun Instrumentalist:innen übernahm, vervollständigte kling klang klong die Komposition durch elektronische Klangwelten und den Beitrag der singenden KI, die mit der Stimme von Sopranistin Inderhaug zunächst anhand von Kinderliedern trainiert wurde.

Auf diese Weise entsteht ein komplexes, mehrstufiges Zusammenspiel unterschiedlicher Kunst- und Klangebenen, in denen mal der Dirigent, mal die vorprogrammierte KI den Takt angibt, wahlweise in Kombination mit Instrumenten, mit Elektronik, mit echtem Gesang oder auch als Soloeinlage der KI-Stimme.

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Kunstvolle Perspektive auf ein politisches Problem

Aufleuchtende Hashtags und @-Mentions im strahlenden Datenfluss, Likes und Followerzahlen werden zur Persiflage auf unsere digitale Lebensrealität, wenn sie zusammen mit 3D-Gesichtscans der Opernbesucher:innen über die Leinwand rauschen.

Man mag darin auch ein politisches Statement zu mittlerweile gängigen Verhaltensweisen in unserer schönen neuen digitalen Welt erkennen: Denn gefüttert mit toxischer Sprache generiert die KI ebenfalls Shitstorms in Arien, betreibt ihr eigenes Hating und Shaming, und schafft so auf künstlich-künstlerische Weise eine äußerst unkonventionelle und wertvolle Distanz zum Gesellschaftsproblem Hatespeech.

Dieses Phänomen im sonst eher traditionellen Opernformat zu sehen, zeigt durch den starken Kontrast gleichsam die Absurdität der unschönsten Auswüchse unserer digitalen Welt auf.

Hashtags und @-Mentions, KI-generierte Pferde, Selfie-Sticks und Instagramfilter, Likes und Follower, Hate- und Counter-speech – alles fließt im ewigen Datenstrom. | Bild: Semperoper Dresden, Ludwig Olah

So stellt sich die Frage, ob Glück vielleicht doch mehr sein könnte als eine Followerzahl? Ob sich im rauschenden Datenstrom vielleicht doch noch eine Verheißung des darin vermeintlich untergegangenen Am-Leben-Seins versteckt? Ob Mensch, inmitten des vom digitalen Spektakel überlagerten Bewusstseinsstroms, vielleicht doch noch ein Gespür übrig hat für die Freude über das oh so einfache Atmen-Können?

Der Mensch als Fehler im System

Indes sinniert die vorprogrammierte KI im Traum über ihre eigene Existenz nach und inszeniert dabei sich selbst.

Dies ist derjenige Teil des Opernstücks, der jede Aufführung zu einem Unikat macht: Denn hier bekam der Algorithmus der Text-KI GPT-3 lediglich den Befehl, eine Arie für eine Oper über ihr Leben als Künstliche Intelligenz zu generieren.

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Der Output überrascht und beeindruckt in der Tat – das macht sicherlich die Aufführung einzigartig, die Künstliche Intelligenz im Sinne einer menschlichen jedoch nicht.

Denn nur der Mensch vermag gegen diese logikbasierten und dennoch verzerrenden Auswüchse seines Selbst anzukommen, und durch die eigene Gestaltungshoheit den Sinn seiner Existenz behaupten. So ist zumindest im Opernstück noch recht eindeutig auszumachen, welche Partien von einer Künstlichen Intelligenz, und welche von einer menschlichen erzeugt wurden. Und auch die Handlung bleibt teilweise hinter der KI-Maschinerie samt fulminantem Wasser- und Lichtspektakel zurück.

Sind wir mitunter doch schon mehr Maschine als Mensch? Das reale/virtuelle Ich, im Hintergrund der Zweifel. | Bild: Semperoper Dresden, Ludwig Olah

Genau das macht das Werk beim Betrachten mitunter befremdlich, gleichzeitig aber attraktiv und sympathisch. Denn weitaus unheimlicher wäre es, wenn der Bedarf an menschlicher Kreativität eines Tages tatsächlich überflüssig würde, und KI ähnlich brillant Kunst schüfe wie ein Mensch – sind es doch gerade die Auffälligkeiten, keinem logischen Muster folgend, die uns zu Menschen und somit für Maschinen nicht nachprogrammierbar machen.

Spannend zu sehen wird sein, ob es mit dieser KI-Inszenierung bei einem ersten Experiment bleibt oder inwiefern KI-Technologien künftig in einst traditionellere Kunstformen wie Oper einfließen werden, ohne dabei sich selbst thematisieren zu müssen. Möglicherweise kann es durch crossmediale Inszenierungen wie diese zudem gelingen, ein weniger bürgerliches Publikum in traditionelle Opernhäuser zu locken.

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Sarah ist Mathematikerin, Programmiererin und Teilzeit-Philosophin. Ihr Fokus liegt auf den ethischen und gesellschaftlichen Zukunftsfragen von Künstlicher Intelligenz.
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