Eine neue Studie der Harvard Business School zeigt, dass Open-Source-Software einen enormen wirtschaftlichen Wert darstellt. Unternehmen müssten ohne sie 3,5-mal mehr für Software ausgeben. Dabei erzeugen nur 5 Prozent der Entwickler 96 Prozent des gesamten Wertes.
Open Source Software (OSS) - Programme, deren Quellcode öffentlich zugänglich ist und die oft dezentral entwickelt werden - bildet heute das Fundament der digitalen Wirtschaft. Laut einer aktuellen Studie der Harvard Business School ist OSS in 96 Prozent aller Codebases vertreten und manche kommerzielle Software besteht bis zu 99,9 Prozent aus frei verfügbaren OSS-Komponenten.
Doch wie viel ist dieses digitale Gemeingut tatsächlich wert? Eine neue Studie liefert erstmals umfassende Antworten auf diese Frage.
Die Herausforderung der Wertmessung
Die Bewertung von OSS stellt Ökonomen vor ein grundsätzliches Problem: Da der Preis in der Regel Null ist und die Nutzungshäufigkeit schwer zu messen ist, lässt sich der Wert nicht mit der klassischen Formel "Preis mal Menge" berechnen.
Die Forscher nutzten zwei sich ergänzende Datensätze, um sowohl die interne als auch die externe Nutzung von OSS in Unternehmen zu erfassen. Der erste Datensatz, "Census II of Free and Open Source Software", dokumentiert den OSS-Code, der in die Produkte von Unternehmen einfließt. Der zweite Datensatz von "BuiltWith" identifiziert OSS-Code, mit dem Verbraucher direkt über Unternehmenswebseiten interagieren.
Daraus errechneten sie zwei Werte: den Angebotswert (was es kosten würde, alle weit verbreiteten OSS-Pakete einmal neu zu schreiben) und den Nachfragewert (was es kosten würde, wenn jedes Unternehmen, das OSS nutzt, diese selbst entwickeln müsste).
Nach ihren Berechnungen beträgt der Angebotswert 4,15 Milliarden Dollar. Der Nachfragewert übertrifft ihn jedoch mit geschätzten 8,8 Billionen Dollar um mehr als das 2.000-fache. Zum Vergleich: Die weltweiten Ausgaben für Software im Jahr 2020 belaufen sich laut Studie auf rund 3,4 Billionen Dollar. Ohne OSS müssten Unternehmen also das 3,5-fache für Software ausgeben.
Extreme Ungleichheit bei der Wertschöpfung
Besonders bemerkenswert ist die Konzentration der Wertschöpfung auf wenige Entwickler. Die Studie zeigt, dass nur 5 Prozent der Entwickler - also etwa 3.000 - für mehr als 93 Prozent des Angebotswertes und sogar 96 Prozent des Nachfragewertes verantwortlich sind.
"Diese ungleiche Wertverteilung, die von wenigen Programmierern erzeugt wird, ist nicht nur auf einige besonders wertvolle Repositories zurückzuführen, sondern auf die Beiträge dieser Handvoll Mitwirkender zu einer beträchtlichen Anzahl von Repositories", erklären die Forscher.
OSS ist damit eines der erfolgreichsten und einflussreichsten modernen Beispiele für das jahrhundertealte ökonomische Konzept der "Allmende" (Allgemeingut). Ähnlich wie gemeinsam genutztes Weideland in der Landwirtschaft sei die Verfügbarkeit von OSS-Code, der nicht jedes Mal neu geschrieben werden müsse, für die moderne Wirtschaft von entscheidender Bedeutung.
Die Studie warnt jedoch vor einer "Tragödie der Allmende", wenn dieses digitale Gemeingut übernutzt, aber unterfinanziert wird. Die Messung des Wertes von OSS sei daher entscheidend für die zukünftige Gesundheit der digitalen Wirtschaft.
Implikationen für Unternehmen und Politik
Die Studie erfasst zudem nicht den gesamten OSS-Markt und lässt wichtige Kategorien wie Betriebssysteme aus, wodurch die Ergebnisse wahrscheinlich den tatsächlichen Wert unterschätzen.
Angesichts dieser Zahlen argumentieren die Autoren, dass Unternehmen, die OSS nutzen, nicht nur als "Trittbrettfahrer" agieren, sondern auch zur Schaffung und Pflege von OSS beitragen sollten. Auch politische Entscheidungsträger sollten über mehr gesellschaftliche Unterstützung für diese kritische Ressource nachdenken.
"Unsere Ergebnisse zeigen den beträchtlichen Wert, den OSS für die Wirtschaft hat, auch wenn dieser Wert bei direkter Messung in der Regel Null zu sein scheint, da die Preise gleich Null sind und die Menge allein mit öffentlichen Daten schwer zu messen ist", fassen die Forscher zusammen.