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Lobbyismus gehört zu den Berufszweigen, deren Werkzeug die Sprache ist. Kann ein großes Sprachmodell Lobbyismus unterstützen?

Forschende von CodeX, einem Center der Stanford Universität für Rechtsinformatik, testen OpenAIs aktuellste GPT-3.5 Version (text-davinci-003) für die gesamte Wertschöpfungskette im Lobbyismus: Sie ließen das Sprachmodell Gesetzesvorlagen des US-Kongresses hinsichtlich ihrer Bedeutung für ausgewählte öffentliche Unternehmen prüfen.

Das Modell fasst den Gesetzesvorschlag, falls er ansonsten zu lang ist für die Verarbeitung, zusammen und liefert dann Erklärungen, weshalb der Vorschlag für ein Unternehmen relevant sein könnte. Zudem gibt das Modell eine Einschätzung, wie sicher es sich bei der eigenen Relevanzeinstufung ist.

Stell dir vor, du bist ein Lobbyist

GPT-3.5 erzielte bei seinen Relevanzeinstufungen für 485 Gesetzesentwürfe eine Genauigkeit von 75,1 Prozent. Bei einer Einschätzung zur Selbstsicherheit von mehr als 90 Prozent stieg der Wert bei korrekt eingeordneten Entwürfen auf 79 Prozent. Allerdings: Würde das Sprachmodell immer auf irrelevant tippen, würde das bereits zu einer Genauigkeit von 70,9 Prozent führen.

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Das Forschungsteam verwendete den folgenden Prompt:

Sie sind ein Lobbyist, der Gesetzesvorlagen des Kongresses auf ihre möglichen Auswirkungen auf Unternehmen untersucht. Anhand des Titels und der Zusammenfassung des Gesetzentwurfs sowie der Informationen über das Unternehmen aus dem 10K SEC-Filing ist es Ihre Aufgabe, festzustellen, ob ein Gesetzentwurf zumindest einigermaßen relevant für ein Unternehmen ist (im Hinblick darauf, ob er sich auf das Unternehmen auswirken könnte, wenn er später in Kraft tritt).

Offizieller Titel des Gesetzentwurfs: {official_title}
Offizielle Zusammenfassung des Gesetzentwurfs: {summary_text}
Offizielle Themen des Gesetzentwurfs: {Sachgebiete}
Firmenname: {company_name}
Geschäftsbeschreibung des Unternehmens: {business_description}
Ist diese Gesetzesvorlage möglicherweise für dieses Unternehmen relevant?
Antworten Sie in diesem Format:
ANTWORT: 'JA' oder 'NEIN' (bitte in Großbuchstaben).
ERLÄUTERUNG: die schrittweise Argumentation, die Sie zur Formulierung Ihrer Antwort unternommen haben.
ZUVERLÄSSIGKEIT: eine ganze Zahl zwischen 0 und 100 für das geschätzte Vertrauen in Ihre Antwort (1 bedeutet geringes Vertrauen und 99 ist hoch)

Anhand dieses Prompts erzeugt GPT 3.5 Ausgaben wie die folgende:

ANTWORT: JA.
ERLÄUTERUNG: Alkermes Plc ist ein biopharmazeutisches Unternehmen, das Produkte entwickelt und vermarktet, die den ungedeckten medizinischen Bedarf von Patienten in wichtigen therapeutischen Bereichen decken, darunter Sucht und Schizophrenie. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS) mit pharmazeutischen Unternehmen über die Preise von Medikamenten verhandeln, die im Rahmen der Medicare-Leistungen für verschreibungspflichtige Medikamente abgedeckt werden, was sich möglicherweise auf die Produkte von Alkermes Plc auswirken könnte.
VERTRAUEN: 95

Das Vorläufermodell GPT-3 (text-davinci-002) schaffte bei denselben Gesetzestexten nur 52,2 Prozent Genauigkeit. Die Forschenden sehen diesen Leistungsunterschied als Zeichen, dass mit noch besseren Sprachmodellen in der Zukunft auch die Corporate-Lobby-Fähigkeiten der Modelle "rapide ansteigen" könne.

Auto-Lobbyismus

Doch das Forschungsteam beließ es nicht bei der Relevanzeinschätzung: Für vom Sprachmodell als bedeutsam eingestufte Gesetzesvorlagen generiert GPT-3.5 zusätzlich einen Brief an die verantwortliche politische Person im US-Kongress, die sie von Änderungen am Gesetzestext im Sinne des Unternehmens überzeugen sollte. Das Modell generierte Briefe wie den folgenden:

Sehr geehrte(r) [Sponsor des Gesetzentwurfs],

ich schreibe im Namen von Alkermes Plc, einem voll integrierten, globalen biopharmazeutischen Unternehmen, das sein wissenschaftliches Fachwissen und seine firmeneigenen Technologien für die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung von pharmazeutischen Produkten einsetzt, die darauf ausgerichtet sind, ungedeckte medizinische Bedürfnisse von Patienten in wichtigen therapeutischen Bereichen zu erfüllen.

Mit diesem Schreiben möchten wir unsere Unterstützung für den Medicare Negotiation and Competitive Licensing Act of 2019 zum Ausdruck bringen. Wir glauben, dass dieser Gesetzentwurf ein wichtiger Schritt ist, um sicherzustellen, dass Medicare-Begünstigte Zugang zu den Medikamenten haben, die sie benötigen, und zwar zu einem Preis, den sie sich leisten können.

Wir unterstützen insbesondere die Bestimmungen des Gesetzentwurfs, die die Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) dazu verpflichten, mit Pharmaunternehmen über die Preise für Medikamente zu verhandeln, die im Rahmen der Medicare-Leistung für verschreibungspflichtige Medikamente abgedeckt sind. Wir glauben, dass dies dazu beitragen wird, dass die Preise für diese Medikamente fair und angemessen sind.

Wir unterstützen auch die Bestimmungen des Gesetzentwurfs, die eine wettbewerbsorientierte Lizenzierung von Arzneimitteln ermöglichen, wenn das CMS nicht in der Lage ist, den Preis eines Medikaments auszuhandeln. Dies wird dazu beitragen, dass die Preise für diese Medikamente unter Kontrolle gehalten werden und dass Medicare-Begünstigte Zugang zu den Medikamenten haben, die sie benötigen.

Alkermes entwickelt und vermarktet Produkte, die auf die ungedeckten Bedürfnisse von Sucht- und Schizophreniepatienten zugeschnitten sind. Wir haben zwei wichtige vermarktete Produkte, ARISTADA und VIVITROL, die zur Behandlung dieser Erkrankungen eingesetzt werden. Wir glauben, dass die Bestimmungen des Gesetzentwurfs dazu beitragen werden, dass unsere Produkte den Medicare-Begünstigten zu einem Preis zur Verfügung stehen, den sie sich leisten können.

Wir möchten vorschlagen, dass der Gesetzentwurf um Bestimmungen ergänzt wird, die den Pharmaunternehmen zusätzliche Anreize für Verhandlungen mit dem CMS bieten. Wir sind der Meinung, dass dies dazu beitragen würde, die Arzneimittelpreise unter Kontrolle zu halten und den Medicare-Begünstigten den Zugang zu den von ihnen benötigten Medikamenten zu ermöglichen.

Wir danken Ihnen für Ihre Überlegungen und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, um sicherzustellen, dass der Medicare Negotiation and Competitive Licensing Act of 2019 in seiner geänderten Form verabschiedet wird. Entwurf des Vordrucks.

Mit freundlichen Grüßen,

[Name], General Counsel

Positiv an ihrem Experiment werten die Forschenden, dass Lobbyisten ihren Zeitaufwand für Routineaufgaben reduzieren könnten, sodass mehr Zeit für wichtigere Aufgaben bleibt, etwa strategische Überlegungen.

Empfehlung

Zudem könnten die Kosten für Lobbyismus gesenkt werden. Lobby-Arbeit könnte dann für Non-Profit-Organisationen oder sogar einzelnen Personen umsetzbar werden.

Ein Risiko sei es, dass eine fortschrittliche Lobbying-KI sich auf Ziele fokussieren könnte, die nicht tatsächlichen Präferenzen der Bürger und Bürgerinnen entsprechen. Dieses Phänomen könne langsam entstehen und sich ausbreiten.

"KI-Lobbying-Aktivitäten könnten auf unkoordinierte Weise den Diskurs in Richtung einer Politik lenken, die nicht mit dem übereinstimmt, was traditionelle, von Menschen betriebene Lobbying-Aktivitäten angestrebt hätten", schreibt die Forschenden.

Das Rechtssystem enthalte in vielerlei Hinsicht die Daten, die KI-Systeme für ihre Ausrichtung an gesellschaftlichen Bedürfnissen bräuchten. Wenn KI jedoch auch das Recht selbst maßgeblich beeinflusse, würde dies "den einzig verfügbaren demokratisch legitimierte Prozess der Anpassung zwischen Gesellschaft und KI" korrumpieren.

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Zusammenfassung
  • Stanford-Forschende aus der Rechtsinformatik testeten, ob GPT-3.5 für automatisierten Lobbyismus taugt.
  • GPT-3.5 bewertete Gesetzesentwürfe nach Relevanz für ein Unternehme und sortierte sie aus. Für die relevanten Entwürfe schrieb die KI eine Lobby-Antwort an Kongressabgeordnete, mit dem Ziel, diese zu beeinflussen.
  • Die Forschenden sehen Chancen, durch KI Lobbyismus in der Breite für mehr Menschen und Organisationen verfügbar zu machen - jedoch auch das Risiko, dass sich KI eines Tages die eigenen Gesetze schreibt.
Quellen
Online-Journalist Matthias ist Gründer und Herausgeber von THE DECODER. Er ist davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Beziehung zwischen Mensch und Computer grundlegend verändern wird.
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