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Was haben der Streamingdienst Netflix und das Datingportal Tinder gemeinsam? Beide nutzen KI-gestützte Empfehlungssysteme. Diese können aber noch mehr: Sie können die Grundlage für erfolgreiches kollaboratives und kooperatives Lernen sein.

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Recommender Systeme[i] sind Software-Tools, die User:innen Vorschläge für Filme und Serien, potentielle Datingpartner:innen, Shopping-Produkte und andere Dinge machen, die sie höchstwahrscheinlich interessieren werden. Recommender greifen demnach in den menschlichen Entscheidungsprozess ein und können diesen anleiten und sogar überhaupt erst motivieren.

Recommender-Lösungen sind im Bildungs- und Lernsektor keine Neuheit mehr. Sie sind schon seit Jahren ein technologischer Baustein von adaptiven Lernsystemen, mit deren Hilfe Inhalte und Lehrmethoden auf die spezifischen Bedürfnisse von Lernenden angepasst werden, um so Lernerfolge zu maximieren.

Empfehlungssysteme können aber noch mehr. Sie können der Grundstein für erfolgreiches kollaboratives und kooperatives Lernen sein. Wie können solche Systeme konkret Lernende und Trainer:innen unterstützen? Und warum lohnen sich Recommender Systeme im Corporate Learning sehr viel mehr als für Datingplattformen wie Tinder?

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Personalisierte und nicht-personalisierte Empfehlungen

Nicht hinter jeder Empfehlung steckt auch immer gleich ein Recommender System. Eine Top 10-Buchempfehlung einer Zeitungsredaktion oder die Top 3 der meistgesehenen Serien auf einer Streamingplattform sind keine Ergebnisse eines Recommender Systems. Empfehlungen von KI-basierten Recommendern unterscheiden sich gerade dadurch, dass sie personalisierte und damit maßgeschneiderte Vorschläge geben, also die individuellen Bedürfnisse von Nutzenden berücksichtigen. Nicht-personalisierte Empfehlungen, wie die genannten Top 10-Bücher und Top 3-Serien bilden einfach nur Trends ab, sind aber keine personalisierten Vorschläge.

Recommender Systeme arbeiten mit verschiedenen Daten der User:innen. Dazu gehören zum einen explizite Eingaben, die bspw. über eine Online-Abfrage erhoben werden. Dabei wird mitunter nach dem Alter eines Nutzenden gefragt, nach seinen oder ihren Interessen, nach Geschlecht, Herkunft und Zielen. Zum anderen arbeiten Recommender aber auch mit impliziten Daten, die sich aus dem Nutzungsverhalten, wie bisher gesehene Filme und Serien (z. B. bei Streaminganbietern), vergangene Transaktionen (z. B. auf E-Commerce-Plattformen) oder geswipte Personen (z. B. auf Datingportalen) ergeben.

Anhand solcher Daten, können Empfehlungssysteme mittels Algorithmen eine Liste von passenden Vorschlägen für jede:n einzelne:n User:in generieren. Diese Ergebnisse ergeben sich aus einer Relevanzbewertung, z. B. nach einer Bewertung der Wahrscheinlichkeit, wonach ein Vorschlag zu den Interessen eines Users oder einer Userin passen würde. Optimiert werden die Recommender-Algorithmen durch Rückmeldungen von den User:innen selbst. Hierzu gehören wiederum implizite Daten (bspw. Annahme oder Ignorieren eines Vorschlags) und explizite Daten (z. B. Sternebewertungen von Vorschlägen und Produkten).

Warum sind Recommender Systeme so erfolgreich?

Schon seit vielen Jahren werden Recommender Systeme eingesetzt, um individuelle Bedürfnisse von User:innen zu bedienen. Der Erfolg solcher Systeme basiert auf der Erkenntnis, wonach sich Menschen vor allem bei (alltäglichen) Entscheidungen gern auf die Empfehlungen von anderen verlassen. Ganz gleich, ob es sich um ein Hotel für den nächsten Urlaub, um die nächste Serie zum Bingewatching am Wochenende oder um eine passende Hose für den Sommer handelt. Gern lassen wir uns von anderen Menschen (Freund:innen, Familie, Influencer:innen und andere Gleichgesinnte und Vorbilder etc.) in unseren Entscheidungen leiten und verlassen uns auf deren Urteile. Wir sind eben soziale Wesen und innerhalb unserer peer-group oder, was wir dafür halten, können wir uns oft darauf verlassen, dass das, was andere tun, auch uns gefallen und nutzen könnte.

Recommender haben das Ziel, genau dieses Empfehlungsverhalten zu simulieren. Je mehr relevante Empfehlungen dabei ein Algorithmus ausgibt, desto stärker wächst das Vertrauen von User:innen in das verwendete Recommender System. Für das Corporate Learning lässt sich diese Erkenntnis hervorragend nutzen, um Lernenden die richtigen Inhalte zu präsentieren und so jedem einen individuell passenden und zielführenden Lernpfad anzubieten.

Empfehlung

Der Einsatz von Recommender Systemen im Corporate Learning

Es gibt einige Recommender-Lösungen, die bei wichtigen Zielen und Vorhaben wertvolle Unterstützung liefern. Dabei werden nicht nur Lerninhalte empfohlen, sondern auch die richtigen Lernpartner:innen vorgeschlagen, um gemeinsam bevorstehende Aufgaben zu meistern, oder sogar ganze Lernpfade hin zu einem bestimmten Ziel zu gehen.

Wir können an dieser Stelle zwei Kategorien von Recommender Systemen unterscheiden. Sogenannte Item-to-People-Empfehlungssysteme schlagen User:innen vor, welche Aufgabe sie als nächstes bearbeiten sollen oder welcher Kurs eventuell zu ihren Interessen und Vorkenntnissen passt. People-to-People-Recommender (unter Umständen Peer-to-Peer-Recommender) hingegen schlagen Personen z. B. für kollaborative Aufgabenstellungen oder für Tutorings vor.

Einsatzszenarien von Item-to-People-Empfehlungssystemen

Der richtige Kurs

Ein Recommender System kann dazu eingesetzt werden, die passenden Fort- und Weiterbildungsangebote (Kurse, Seminare, Workshops, Trainings etc.) aus einer unüberschaubaren Fülle an Inhalten vorzuschlagen.

Der richtige Weg

Sie können zudem nicht nur eingesetzt werden, um passende Lernangebote anzubieten, sie können ebenfalls auf Lernplattformen Daten zur Lernaktivität und zum Lernverhalten von Nutzenden sammeln. Durch die Erfassung individueller Lernaktivitäten, können ebenso ganze Lernpfade (Reihenfolge von Inhalten) erstellt werden, wodurch Recommender Systeme in didaktischer Hinsicht wertvolle Unterstützung liefern.

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Der richtige Anschub

Ein:e User:in war lange nicht mehr auf der Lernplattform aktiv? Vielleicht benötigt es einfach das richtige Angebot, um erneut zu motivieren. Bleiben die Lernerfolge aus? Wie wäre es dann mit einem Kurs, der einen schnellen Erfolg bringt und so die Freude am Lernen reaktiviert? Oder war das bisherige Lernen methodisch zu einseitig, langweilig, nicht zielführend? Setzt vielleicht ein Brainstorming kreative Kräfte frei? Mindert ein Feedback-Gespräch Versagensängste oder ein Q&A fachliche Lücken? Braucht es ein Mapping, um Struktur in das Erlernte zu bringen?

Recommender können nicht nur Inhalte, sondern auch die richtigen Formate und Aufgaben in einer didaktisch sinnvollen Reihung vorschlagen, um Lernmotivation zu ermöglichen.

Einsatzszenarien von People-to-People-Recommender Systemen

Die richtige Lernbegleitung

Der Einsatz von Automatisierungstechnologien im Corporate Learning führt mitunter dazu, dass Lernende vermehrt isoliert arbeiten und sich in monologischen Lernsituationen wiederfinden, weil Aufgaben, die vorher Menschen übernahmen, nun von KI-Lösungen durchgeführt werden können. Die gleichen Automatisierungstechnologien können aber auch eingesetzt werden, um diesen Missstand zu vermeiden.

Um Lernerfolge gemeinsam zu feiern und vor Lernfrust zu schützen, sich gegenseitig zu motivieren und sich regelmäßig auszutauschen, braucht es den oder die richtigen Lernpartner:innen. Anhand von expliziten und impliziten Daten, wie Alter, Vorkenntnisse, Interessen und absolvierten Lerninhalte und Lernfortschritten, können Recommender für jeden Lernenden die richtige Begleitung vorschlagen. Dabei werden die einzelnen Daten hierarchisiert: Sind z. B. bei der Auswahl eines Lernpartners oder einer Lernpartnerin bisherige Lernerfolge im Kontext wichtiger, als bspw. das Alter oder Vorkenntnisse?

Man spricht hierbei von People-to-People reziproken Recommendern (1-to-1), denn beide potenziellen Lernpartner:innen müssen sich, vergleichbar mit einer Dating-Plattform, füreinander(!) entscheiden. Nur, wenn beide glauben, die Lernpartnerschaft macht anhand ausgewählter Merkmale auch wirklich Sinn und wird von beiden gewollt, wird diese geschlossen. Die Entscheidung für eine Lernpartnerschaft beruht also auf Reziprozität.

Das richtige Team

Um einer Lernisolation zuvorzukommen, sind kollaborative und kooperative Lernsettings sinnvoll. So sind Aufgaben denkbar, für die ein oder mehrere Lernpartner:innen notwendig sind. Wenn andere Lernende für die Bearbeitung des Aufgabenschritts nötig sind, fragt der oder die Lernende bei anderen um Hilfe an. Vorschläge für den oder die richtigen Lernpartner:innen erfolgen nun auf der Grundlage expliziter und/oder impliziter Daten durch ein Recommender System.

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Obwohl zum einen die Lernpartnerschaft nur temporär ist, zum anderen hier die vorliegenden Kenntnisse ausschlaggebend für die Zielerreichung sind und softe Merkmale (z. B. Vorerfahrungen mit anderen Lernenden) ggf. nicht berücksichtigt werden müssen, empfiehlt sich auch hier der Einsatz eines People-to-people reziproken Recommenders, damit niemand ohne Zustimmung einfach jemandem als Lernpartner:in zugeordnet wird.

Die richtige Tutorin

Stockt ein Lernender bei einer Aufgabe und kommt nicht weiter, kann ihm ein Recommender System eine:n Tutor:in oder Mentor:in vorschlagen. Dies kann bspw. eine andere Lernende sein, die diese Aufgabe schon bewältigt hat und weiter fortgeschritten ist. Diese steht nun dem Hilfesuchenden als Tutorin beiseite und hilft beim vorliegenden Arbeitsschritt (Peer-Tutoring). Anhand von Lernfortschritten und/oder Vorkenntnissen kann also eine (gleichgestellte) Lernende als Tutorin für jemanden vorgeschlagen werden, die dabei hilft, den nächsten Arbeitsschritt zu gehen.

Möglich ist aber auch, dass das Recommender System aus einem Konvolut von Mentor:innen auswählt und hierzu Vorschläge macht. Hier kann es durchaus sinnvoll sein, einen People-to-People-reciprocal Recommender[ii] zu nutzen, denn zum einen sollten Mentor:innen zeitlich nicht überlastet werden, zum anderen sollten Lernende ihre:n Mentor:in anhand bestimmter Aspekte wählen können.

Auf Mentor:innen-Seite stellt sich allerdings eine Herausforderung ein, die ein Kollege mal “das Tinder-Problem” nannte. So sollte vermieden werden, dass hochqualifizierte und “beliebte” Mentor:innen allzu häufig empfohlen und so von der Menge der vorgeschlagenen Kontakte überfordert werden. Daher sollten sie nur dann anderen Nutzer:innen empfohlen werden, wenn anhand der Daten eine hohe Sicherheit besteht, dass beide Seiten den Kontakt erwidern werden.

Lernende wiederum sollten anhand ihrer Bedürfnisse ebenfalls entscheiden können, wer ein:e ständige:r Begleiter:in wird. Dies können bspw. Merkmale, wie Verfügbarkeit (ist der Mentor:in überhaupt verfügbar? Steht er oder sie für ein zeitintensives Mentoring zur Verfügung oder eher nur für kurze Sessions, wenn es bei einem Arbeitsschritt hakt?) oder die Beliebtheit des/der Mentor:in (Bewertungen durch vorherige Mentees) sein. Ist die Mentor:in zudem wirklich Expert:in auf einem Fachgebiet und eignet sich ganz konkret für die Bewältigung eines bestimmten Arbeitsschrittes, oder ist er oder sie doch eher auf einem anderen Gebiet Expert:in?

So groß der Gewinn von Recommender Systemen im Lernkontext auch ist, so sind vor und bei der Entwicklung und Implementierung einige wichtige Dinge zu beachten.

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Was es zu beachten gilt

Dadurch, dass bei Recommender Systemen User:innen-Daten erhoben und verarbeitet werden, ist höchste Vorsicht und ein sensibler Umgang damit dringend erforderlich.

Da die KI auf Basis von Algorithmen arbeitet, die aus bereits vorhandenen Daten lernen, besteht die Gefahr, dass diese Daten zu systematischen Vorurteilen führen. Wenn beispielsweise die Lernalgorithmen auf historischen Daten basieren, die geschlechts- oder ethnisch bedingte Ungleichheiten aufweisen, können diese Verzerrungen z. B. in adaptiven Lernsystemen reproduziert und verstärkt werden. Dies kann zu ungerechter Behandlung und Diskriminierung der Lernenden führen. Es besteht die Notwendigkeit, diese Verzerrungen zu erkennen und wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen, um solche Biases in den Lernalgorithmen auszugleichen oder zu beseitigen.

Hinzu kommt das sogenannte cold start-Problem: Bei neuen User;innen existieren keine Daten anhand derer man ähnliche Nutzer:innen identifizieren kann. Passende Empfehlungen (item-to-people und people-to-people) sind demnach zu Anfang besonders schwer und noch nicht individualisiert, was grundlegend negativen Einfluss auf die Qualität der ausgegebenen Empfehlungen hat. Mittlerweile gibt es aber einige Lösungen, wie das cold start-Problem technologisch gemeistert werden kann. [iii]

Und warum lohnen sich People-to-People Recommender für das Corporate Learning mehr als für Tinder?

Die technologiegestützte Suche nach dem oder der Partner:in fürs Leben und einem idealen Lernpartner oder Lernpartnerin sind sich gar nicht so unähnlich und basieren auf den gleichen technologischen Lösungen. Beide Suchen basieren auf (reziproken) People-to-People-Recommender Systemen. Ein gutes Recommender-System beim Dating kommt idealerweise aber nur einmal zum Einsatz. Denn das Ziel der meisten Datingplattformen ist es ja gerade, schnellstmöglich den oder die(!) richtige:n Lebenspartner:in zu finden. Ist der/die Seelenverwandte gefunden, wird das Recommender System eigentlich nicht mehr gebraucht.

Im berufsbezogenen Bildungsbereich proklamieren wir hingegen den Imperativ des “Lebenslangen Lernens", weshalb Recommender Lösungen hier sehr viel langlebiger sind, als im Falle von Tinder und Co. Der Aufwand mit einer Recommender-Lösung die eigenen Bildungs- und Lernprozesse zu unterstützen, lohnt sich hier also sehr viel mehr, denn zumindest was Lernpartner:innen angeht, sind wir doch alle polygam.

Endnotes

[i] da Silva, F.L., Slodkowski, B.K., da Silva, K.K.A. et al. (2023). A systematic literature review on educational recommender systems for teaching and learning: research trends, limitations and opportunities. Educ Inf Technol 28, 3289–3328. https://doi.org/10.1007/s10639-022-11341-9

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[ii] Koprinska, I., Yacef, K. (2022). People-to-People Reciprocal Recommenders. In: Ricci, F., Rokach, L., Shapira, B. (eds) Recommender Systems Handbook. Springer, New York, NY. https://doi.org/10.1007/978-1-0716-2197-4_11

[iii] z. B. Dacrema, M.F., Cantador, I., Fernández-Tobías, I., Berkovsky, S., Cremonesi, P. (2022). Design and Evaluation of Cross-Domain Recommender Systems. In: Ricci, F., Rokach, L., Shapira, B. (eds) Recommender Systems Handbook. Springer, New York, NY. https://doi.org/10.1007/978-1-0716-2197-4_13

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Tobias Weilandt

Tobias Weilandt ist davon überzeugt, dass der verantwortungsvolle Einsatz von KI-Lösungen als Bildungstechnologie die Zukunft des Lernens und Arbeitens ist und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben wird.

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