Statt KI im Klassenzimmer zu verbieten, gibt das Ministerium für Schule und Bildung Nordrhein-Westfalen Tipps für Lehrpersonen, wie sie ChatGPT und Co. sinnvoll in den Unterricht einbauen können.
Vor allem eine Gruppe von Menschen hat sich nach Veröffentlichung von ChatGPT (bzw. schon GPT-3) direkt auf das KI-Tool gestürzt: Schüler:innen und Studierende. Schließlich kann der Chatbot das mühsame Verfassen von Hausarbeiten praktisch komplett übernehmen.
Seither dreht sich die Debatte vor allem auch um das Erkennen KI-generierter Texte. Zahlreiche Anbieter, darunter OpenAI selbst, positionieren sich mit entsprechenden Werkzeugen auf dem Markt, wobei in den meisten Fällen die Methodik und die False-Positive-Raten nicht transparent sind.
Eine zuverlässige technische Lösung zur Unterscheidung zwischen KI-generiertem und menschlichem Text gibt es noch nicht und wird es laut OpenAI-CEO Sam Altman wahrscheinlich auch in Zukunft nicht geben.
KI im Unterricht ist unaufhaltsam
Das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen hat jetzt einen Leitfaden für Lehrerinnen und Lehrer zum Einsatz von KI im Unterricht veröffentlicht. Nicht nur die Schnelligkeit der Veröffentlichung - ChatGPT ist erst drei Monate alt - überrascht, sondern auch die Technologieoffenheit: Von Verboten ist hier nicht die Rede.
Generell rät das Ministerium zu einem konstruktiven Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten. Die Auswirkungen der Systeme auf Bildung und Beruf seien derzeit "schwer abschätzbar" und nach Expertenmeinung "immens".
Mit dem Leitfaden folgt NRW auf einen Vorstoß von Bayern, das bereits im November 2022 einen Modellversuch namens "KI@School" ankündigte. Die handfesten Anregungen der nordrhein-westfälischen Behörde dürften aber den Unterricht in mehr Klassenzimmern verändern.
Ein Verbot, KI im Unterricht zu thematisieren und auch didaktisch zu nutzen, kann vor dem Hintergrund einer sich äußerst dynamisch weiterentwickelnden Welt, in der die Schülerinnen und Schüler leben, keine tragfähige Reaktion sein. Es ist daher wichtig, dass Unterricht und Schule sich weiter öffnen und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern die Weiterentwicklungen reflektiert werden.
Aus dem Leitfaden
Die Verfügbarkeit von KI-Textgeneratoren könnte Unterrichtsinhalte nachhaltig positiv verändern. Damit Schüler:innen nicht in Versuchung kommen, ein solches Tool zu verwenden, empfiehlt das Ministerium für Schule und Bildung, Aufgaben zu individualisieren oder das Medium bzw. Format zu ändern.
So könne ChatGPT keine eigenen Umfragen durchführen oder ein Plakat gestalten, wohl aber Ideen für die Gliederung eines Aufsatzes generieren oder bei der Formulierung helfen. Schließlich regt der Leitfaden auch dazu an, mehr und persönlicheres Feedback zu geben, so dass die Schüler:innen letztlich vielleicht weniger, aber dafür qualitativ bessere Texte schreiben.
Auch Lehrende könnten Text-KI produktiv für sich nutzen, etwa bei der Unterrichtsvorbereitung. Sie könnten mit den Werkzeugen Texte auf verschiedenen Wissensniveaus aufbereiten oder Quizformate generieren. Ferner könnten Texte hinsichtlich Grammatik, Rechtschreibung und Satzbau vorkorrigiert werden. Zu beachten sei, dass aus Datenschutzgründen keine Schülerdaten eingegeben werden dürfen.
Als pragmatischen Einstieg in den KI-Unterricht empfiehlt das Ministerium das gemeinsame Schreiben von Prompts oder die Kontrolle von Chatbot-generierten Texten und Formeln auf Fehler. Diese Fehler könnten als Ausgangspunkt für die Diskussion über Fähigkeiten der Systeme und eine zielführende Nutzung dienen.
KI-Einsatz benötigt Kennzeichnung - und eine neue Generation Schulaufgaben
Wenn KI bei der Erstellung eines Textes (oder eines Programmcodes oder eines Bildes) geholfen hat, muss es nach Ansicht des Ministeriums klare und einheitliche Regeln geben, wie dies zu kennzeichnen ist. Dabei gehören neben dem verwendeten KI-Tool auch die von den Schüler:innen verwendeten Prompts in die Quellenangabe.
"Bei der Herstellung dieses Textes [oder wahlweise Bildes oder des Programmiercodes etc.] wurde X [=Name des KIgestütztes Werkzeugs] eingesetzt. Mit folgenden Prompts [= Anweisungen oder Fragen an die KI] habe ich die KI gesteuert: 1. ____, 2. ____ ."
Zitationsvorschlag für KI-Generatoren
Werden diese Angaben weggelassen, sei dies ein Täuschungsversuch und müsse entsprechend geahndet werden.
Lehrende könnten die Aufgaben zudem so gestalten, dass eine Lösung allein mit KI unmöglich sei. Diese "Weiterentwicklung von Aufgaben" für das KI-Zeitalter beschreibt das Ministerium wie folgt:
- Werden individuelle Bezüge in die Lern- und Leistungsaufgaben einbezogen, kann die KI diese nicht ohne Weiteres berücksichtigen, sodass eine Eigenleistung der Lernenden notwendig ist. Ist beispielsweise eine Umfrage in der Klasse, ein Experiment, eine Kartierung, eigene Datenerhebung, das eigene Hobby, ein selbst gewählter Schwerpunkt mit Bezug zum Wohnort oder der Vergleich mit der Darstellung eines Mitschülers oder einer Mitschülerin enthalten, können KI-Textgeneratoren die Aufgabe nicht vollständig übernehmen. Zusätzlich kann es zur Motivation der Lernenden beitragen, wenn ein Thema unter einer individuellen, selbst gewählten Perspektive bearbeitet werden kann.
- Ein Format- oder Medienwechsel in der Aufgabe führt dazu, dass Lernende ihre Erkenntnisse eigenständig umsetzen müssen. So kann die KI zwar Ideen für die Erstellung eines Plakates, eines Erklärvideos, eines Podcasts, Songs oder Standbildes geben, die geeignete Umsetzung und damit die Auseinandersetzung mit den Inhalten muss jedoch durch die Lernenden erfolgen. Zudem kann man so auch argumentative Kompetenzen bei den Lernenden fördern, indem sie verstärkt dazu aufgefordert werden, ihre eigenen Entscheidungen, Analyse oder Formate zu begründen.
- Formatives Assessment – d. h. Beobachtung, Rückmeldung bzw. Feedback begleitend zum Erarbeitungsprozess – kann darüber hinaus dazu beitragen, die Eigenständigkeit der erbrachten Leistungen zu sichern. Zudem fördert es die Motivation und die Akzeptanz der Lernenden, eigene Texte zu verfassen, wenn sie anhand wiederholter individualisierter und zeitnaher Rückmeldungen immer weiter verbessert werden können. Statt mehrere, immer neue Texte für den Unterricht zu verfassen, werden weniger, dafür bessere, mehrfach überarbeitete Texte produziert. Die Lehrperson kann sich bei ihrer Rückmeldung auf wesentliche Aspekte beschränken. Ebenso führt der kontinuierliche Feedback-Kontakt zwischen Lehrperson und Schülerin oder Schüler dazu, dass das Einfügen längerer Textteile, die einer KI entstammen, unwahrscheinlicher wird.
Aus dem Leitfaden
Das Fazit zeigt die Entschlossenheit, KI künftig als integralen Bestandteil des Unterrichts zu sehen. Ein Verbot sei "realitätsfern und nicht haltbar", schreibt das Ministerium. Stattdessen müssten die Potenziale und Risiken für das Lehren und Lernen erarbeitet werden. Der Umgang mit KI müsse ausgehandelt und rechtlich abgesichert werden.
"Es besteht große Einigkeit darüber, dass ein kompetenter Umgang mit KI-Anwendungen für die erfolgreiche Bewältigung zukünftiger Anforderungssituationen in Ausbildung, Studium, Beruf und Alltagswelt unabdingbar ist; auch deshalb darf sich die Schule nicht hermetisch abschotten", schreibt das Ministerium. Eltern, Schulaufsicht und Lehreraus- und -fortbildung müssten in diese Entwicklung einbezogen werden.