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Baidus Ernie Bot soll ein chinesischer ChatGPT-Rivale werden. Doch eine schwache Präsentation hat den chinesischen Tech-Giganten zwischenzeitlich drei Milliarden US-Dollar an Börsenwert gekostet. Die Geschichte von Ernie Bot erzählt vom Spagat zwischen freier Forschung und Entwicklung und dem Kontrollanspruch des chinesischen Staates.

Der chinesische Such- und KI-Riese Baidu forscht seit Beginn des KI-Booms an neuronalen Netzen und entwickelt Empfehlungsalgorithmen sowie große Sprach- oder Bildmodelle. Letzte Woche stellte das Unternehmen den multimodalen Ernie Bot vor, der zuvor als ChatGPT-Rivale galt.

Während der Präsentation zeigte Baidu kurze Videos, in denen der Ernie Bot mathematische Aufgaben löste, in chinesischen Dialekten sprach und ein Video und ein Bild generierte. Ernie wird in Kürze für eine ausgewählte Testgruppe zur Verfügung stehen.

Baidu verzichtete auf eine Live-Demonstration, zeigte stattdessen aufgezeichnete Demos und schränkte den Zugang stark ein, was zu spöttischen Memes in den chinesischen sozialen Medien führte. Die Aktie von Baidu Hongkong fiel während der Rede von CEO Robin Li um bis zu 10 Prozent.

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Am Ende schloss die Aktie mit einem Minus von 6,4 Prozent, der Marktwert des Unternehmens sank um mehr als drei Milliarden US-Dollar. Und das als Reaktion auf die Präsentation einer potenziellen Zukunftstechnologie.

Ernie Bot ist kein Instrument für Geopolitik - oder doch?

Li betonte während der Präsentation, dass Ernie noch nicht perfekt sei. "Warum stellen wir ihn dann heute vor? Weil der Markt danach verlangt."

Baidus CEO verwies während der Präsentation auch auf das multimodale GPT-4-Modell von OpenAI, warnte jedoch davor, Vergleiche zwischen KI-Modellen durch eine geopolitische Linse zu betrachten. "Ernie Bot ist kein Instrument der Konfrontation zwischen China und den Vereinigten Staaten", sagte Li.

Doch das seit Jahren zwischen den beiden Supermächten ausgerufene KI-Rennen steht in direktem Zusammenhang mit Ernie: Nach der Präsentation deutete Li an, dass Baidu Nvidias A800-GPUs für das KI-Training nutzen wolle. Die A800-Serie ist eine von Nvidia speziell für den chinesischen Markt entwickelte Variante des H100-Chips, der vom US-Exportverbot für KI-Beschleuniger betroffen ist.

Empfehlung

Peking sieht ChatGPT-ähnliche Systeme als Risiko

Doch Baidu hat noch ein anderes Problem: Wie Nikkei Asia im Februar berichtete, haben Regulierungsbehörden große chinesische Technologieunternehmen aufgefordert, keine ChatGPT-Dienste für die Öffentlichkeit anzubieten.

Dem Bericht zufolge wächst in Peking die Sorge vor unzensierten Antworten von KI-gesteuerten Chatbots. ChatGPT selbst ist in China nicht direkt verfügbar, aber einige Anwendungen von Drittanbietern nutzen den Dienst. Laut Nikkei hat beispielsweise Tencent einige dieser Angebote entfernt.

Das staatliche Medienunternehmen China Daily schrieb in einem Beitrag auf Weibo, dem stark zensierten chinesischen Twitter-Pendant, dass der Chatbot "der US-Regierung helfen könnte, Desinformation zu verbreiten und globale Erzählungen für ihre eigenen geopolitischen Interessen zu manipulieren."

Ein leitender Angestellter eines weiteren führenden chinesischen Technologieunternehmens sagte, dass sein Unternehmen ChatGPT auch ohne direkte Warnung nicht verwenden würde.

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"Selbst wenn es kein Verbot gäbe, würden wir niemals die Initiative ergreifen, ChatGPT zu unseren Plattformen hinzuzufügen, da die Reaktionen unkontrollierbar sind", sagte die Person. "Es wird unvermeidlich einige Nutzer geben, die dem Chatbot politisch heikle Fragen stellen, aber die Plattform würde für die Ergebnisse verantwortlich gemacht werden."

Ernie Bot vermeidet kritische Themen

Die vorsichtige Veröffentlichung von Ernie durch Baidu zeigt, dass das Unternehmen anscheinend eine Vereinbarung mit den Behörden getroffen hat. In Tests, beispielsweise von Reuters, zeigt sich erwartungsgemäß, dass Ernie Fragen zum chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit der Begründung ablehnt, er habe noch nicht gelernt, sie zu beantworten.

Auch bei Fragen zum Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens oder zur ethnischen Minderheit der Uiguren will Ernie das Thema wechseln. "Lass uns das Thema wechseln und von vorne anfangen", lautete eine Aufforderung, die Reuters mehr als ein Dutzend Mal als Antwort auf heikle Fragen erhielt.

Die strenge Regulierung und die Sicherheitskontrollen werden sich auch auf die Leistung von Ernie in anderen Bereichen auswirken, denn "niemand weiß wirklich, wie man ein Modell dazu bringt, aus dem Internet zu lernen, ohne grundlegende Fakten zu lernen", fasst Yonadav Shavit, KI-Forscher an der Harvard University, das Problem von Baidu zusammen.

Das chinesische Unternehmen verwendet also entweder einen begrenzten Datensatz oder einen umfassenden Filter, der wiederum so grob sein muss, dass er einige Funktionen des Chatbots einschränken könnte.

Das Unkontrollierbare kontrollieren

Kurzum: Baidu versucht, die Balance zu halten zwischen seiner Rolle als führendes chinesisches KI-Unternehmen und der staatlichen Zensur einer Technologie, die für ihre Unkontrollierbarkeit bekannt ist.

Der Aktienkurs von Baidu hat sich mittlerweile wieder erholt, auch weil einige chinesische Journalist:innen Zugang zu Ernie bekamen und freundliche Kritiken veröffentlichten.

"Der Markt ist rationaler geworden und hat verstanden: Auch wenn Ernie uns nicht begeistert hat, ist er wahrscheinlich gut genug für den chinesischen Markt", sagt Jennifer Zhu Scott, eine in Hongkong ansässige Hightech-Risikokapitalgeberin und Gründerin von "IN. Capital".

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Zusammenfassung
  • Baidus Ernie Bot wurde als chinesischer ChatGPT-Rivale gehandelt und enttäuschte bei der Präsentation. Baidus Aktienkurs stürzte ab.
  • Inzwischen hat sich Baidus Kurs wieder erholt, Ernie ist "gut genug für den chinesischen Markt", sagt eine Analystin.
  • Das Unternehmen geht mit Ernie ein großes Risiko ein, denn chinesische Regulatoren sehen in ChatGPT-ähnlichen Systemen die Gefahr, die Kontrolle über Narrative zu verlieren.
  • Ernie sagt zum Beispiel nichts über den chinesischen Präsidenten oder den Platz des Himmlischen Friedens.
Max ist leitender Redakteur bei THE DECODER. Als studierter Philosoph beschäftigt er sich mit dem Bewusstsein, KI und der Frage, ob Maschinen wirklich denken können oder nur so tun als ob.
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