Die US Air-Force hat ihren ersten KI-Co-Piloten. Dessen Erfinder spricht nun über die Zukunft von ARTUµ und Innovation als das neue Schlachtfeld.
Im Dezember flog erstmals ein KI-Pilot bei einem Flug der US Air Force mit: ARTUµ steuerte Sensoren und taktische Navigationssysteme des 1957 eingeführten U2-Aufklärungsflugzeugs. Der Jungfernflug von ARTUµ war das erste Mal, dass ein menschlicher Pilot während des Flugs die Kontrolle militärischer Systeme an ein KI-System abgab.
Grundlage des KI-Piloten war der von Deepmind entwickelte Algorithmus MuZero. Seine Vorgänger sind namhafte KIs wie AlphaGo, AlphaGo Zero und AlphaZero für Brett- und Videospiele. MuZero dominiert sie mit Leichtigkeit.
Die stärkere Performance erzielte Deepmind durch einen neuen Ansatz beim KI-Training: Während die Vorgänger die Regeln der Spiele kannten, lernt MuZero diese einfach selbst. Theoretisch kann MuZero daher jedes Spiel selbstständig lernen und meistern. Der Erfolg von ARTUµ in seiner Testmission zeigt, dass MuZero dieses Versprechen wohl einhält.
KI im Cockpit: Simulierte Raketenangriffe als Testszenario
ARTUµ lernte in fünf Wochen, das Radar des Flugzeugs zu steuern und nach Zielen für simulierte Raketenangriffe zu suchen. Dafür musste der Algorithmus die Regeln von Aufklärungsmissionen lernen.
Das gelang ARTUµ durch bestärkendes Lernen (Erklärung), bei dem die KI für Aktionen, die zum Ziel führen, belohnt wird und für alle anderen bestraft. Im Falle von ARTUµ heißt das konkret: Feindliche Ziele finden ist die Belohnung, Ziele zu verfehlen – oder abgeschossen zu werden – ist die Strafe.
Bei knapp einer Million simulierten Missionen musste ARTUµ von Grund auf alle Regeln des „Spiels“ erlernen, selbst solche, die für Menschen selbstverständlich sind, etwa dass gegnerische Luftabwehr keine gegnerischen Flugzeuge abschießt.
Für Dr. Will Roper, stellvertretender Sekretär für Beschaffung, Technologie und Logistik bei der Air Force, war der erfolgreiche Testflug ein voller Erfolg: ARTUµ habe bei seinem ersten Flug direkt wie ein verantwortlicher Einsatzleiter agiert und nicht wie ein Neuling.
“Der Krieg der Algorithmen hat begonnen”, kommentierte Roper den Testflug - und dieser Krieg spiele sich auf einem viel größeren Schlachtfeld ab. Die Waffen seien jetzt kommerzielle Technologien und Start-ups.
ARTUµ, Deep Tactics und elektronische Kriegsführung
In einem neuen Blog-Beitrag gibt Roper nun einen Einblick in die Zukunft von ARTUµ. Der nächste Auftrag für den KI-Piloten: elektronische Kampfführung, die etwa die Blockade eines gegnerischen Radars oder das Verschleiern eigener Signale umfasst.
Dafür lassen sich Roper und sein Team erneut von Deepmind inspirieren: Wie MuZero soll ARTUµ neue Fähigkeiten im Wettstreit mit sich selbst erlernen. Das sogenannte „Self-Play“, bei dem verschiedene Versionen von MuZero gegeneinander antreten, ist eine Hauptursache für den KI-Fortschritt der letzten Jahre.
ARTUµ soll gegen seine gegnerische Variante Cetuµ antreten, so in der elektronischen Kampfführung trainiert werden und etwa die Erkennung und die Störung elektromagnetischer Signale lernen.
Angesichts der großen Rolle, die das elektromagnetische Spektrum im modernen Militär etwa für die Positionsbestimmung, Navigation, Zeitmessung, Sensorik oder Kommunikation spielt, erwartet Roper völlig neue Taktiken der elektronischen Kampfführung: “Deep Tactics”, angelehnt an das KI-Trainingsverfahren Deep Learning. KI soll neue Wege bei der Kriegsführung gehen, die menschlichen Strategen gar nicht erst in den Sinn kämen.
Diese Deep Tactics würden in Zukunft immer wichtiger, erklärt Roper – gerade gegen gegnerische KI-Systeme: „Anders als bei Brettspielen treten in zukünftigen Kriegen Teams aus Menschen und Maschinen gegeneinander an, und es sind nur wenige Spielzüge verboten – einschließlich elektronischer Kampfführung mit und gegen KIs“, sagt Roper.
Es müssten daher alle menschlichen und maschinellen Schwächen minimiert werden, um in Zukunft auf dem Kampffeld erfolgreich zu sein.
MuZero ist Vorreiter einer fundamentalen Änderung bei der Entwicklung von Militärtechnologie
Die Zukunft des Militärs werde nicht länger von exklusiv für das Militär hergestellten Technologien bestimmt. Für Roper ist der Erfolg von MuZero als ARTUµ ein Zeichen eines fundamentalen Wandels.
„MuZero ist mehr als ein Sputnik-Moment für Science-Fiction-KI. Es ist ebenso - wenn nicht sogar noch - bedeutsamer, dass ein kriegsgewichtiger Durchbruch nicht in einem Regierungslabor, der Verteidigungsindustrie oder mit einem Regierungsauftrag entwickelt wurde.“
MuZero sei das Resultat eines kommerziellen Tech-Start-ups mit einer großen Idee und genug Rechenleistung zu verdanken. Deepmind und KI-Technologie sind laut Roper nur ein Beispiel für das neue Prinzip: Technologien wie Quanten-Computing, Raumfahrt oder synthetische Biologie würden ebenfalls zuerst mit privaten Investitionen und in Start-ups entwickelt.
Das Schlachtfeld der Zukunft: Innovation
Durch diese Entwicklung sei die Zukunft der Kriegsführung schwer vorherzusagen, so Roper. „Das macht Innovation selbst zum neuen Schlachtfeld, das jeden Tag in jedem Schulungsraum, Forschungslabor, Geschäft und jeder Nation stattfindet.“
Es sei daher für Streitkräfte heute notwendig, Innovation zu fördern und so Verteidigungsrevolutionen und industrielle Revolutionen auszulösen: „Es wird zum Gebot nationaler Sicherheit, den Wettlauf im Markt für alle Arten von Technologien zu gewinnen, auch für kommerzielle“, schreibt Roper.
Er fordert daher mehr Investitionen seitens des US-Militärs in den kommerziellen Sektor. Als erfolgreiches Beispiel nennt er den Investment-Arm der Air- und Space Force AFWERX, der pro Jahr bereits eine Milliarde US-Dollar in Start-ups und andere Konzerne investiert. Man habe in zwei Jahren bereits mit 2.300 Tech-Unternehmen zusammengearbeitet.
Es sei notwendig, diese Anstrengungen zu skalieren. Andernfalls könnten zukünftige Deepminds das US-Militär nicht als Innovationspartner sehen und ARTUµs zu einer gefährlichen Zufallsgelegenheit werden – wenn sie überhaupt stattfinden.
Roper schließt seinen Beitrag mit einem dystopischen Ausblick: „In der Zwischenzeit wird jeden Tag der nächste Weltkrieg ausgefochten: kein heißer, der eine römische Zahl erfordert, kein kalter gegen einen wirtschaftlich isolierten Konkurrenten, sondern ein Technologiewettbewerb.“
Via: Popular Mechanics