Große Erdbeben können dramatische Schäden verursachen, kleine gehen oft unbemerkt vorüber. KI lernt, kleine Erdbeben zu erkennen und soll so helfen, die große Katastrophe vorherzusehen. In ersten Tests liegt die KI weit vor den Analysen menschlicher Experten.
Große Erdbeben sind leicht zu messen, selbst wenn sie keine großen Schäden verursachen. Leichte Beben sind im Vergleich viel schwieriger zu erkennen, insbesondere da Wissenschaftler sie von anderen Einflüssen auf die Messgeräte wie Meeresbrandung, vorbeifahrende LKWs oder trampelnde Fußballfans trennen müssen.
Kleine Beben treten jedoch wesentlich häufiger auf: Nur etwa eines von fünf der etwa 500.000 weltweit gemessenen Erdbeben wird von Menschen direkt wahrgenommen. Pro Jahr gibt es knapp 100 Beben, die Schäden verursachen.
Da die kleinen Beben in denselben Bruchzonen der Erdkruste auftreten wie größere Erdbeben und den gleichen Mechanismen unterliegen, ermöglicht ihre Messung Rückschlüsse über die Entwicklung größerer Beben: etwa wie Beben beginnen, miteinander interagieren oder sich entlang der Bruchzone ausbreiten.
Kleine Beben helfen, große vorherzusagen
Dieses Wissen hilft, Gefahrenzonen für große Beben zu identifizieren und so Schäden zu minimieren. Bereits jetzt gibt es Karten, die Bruchzonen aufzeigen und die Bereiche zeigen, in denen Erdbeben vermutlich den größten Schaden verursachen. Je mehr Daten über die kleinen Beben gesammelt werden, desto besser werden diese Karten.
Ein besseres Verständnis über die tiefe, dreidimensionale Struktur der Bruchzonen könne außerdem helfen, Erdbeben besser vorherzusagen, sagt Gregory Beroza, Geophysiker an der Universität Stanford.
Die für die Erkennung der kleinen Beben eingesetzten Algorithmen haben sich seit den 1980ern kaum verändert. Erst seit Beginn der 2010er Jahre entdecken immer mehr Forscher Künstliche Intelligenz für die Erdbeben-Analyse.
Transformer-Architektur hilft, Erdbeben zu erkennen
Einer davon ist der Geophysiker Mostafa Mousavi, der seit 2017 in Stanford am Einsatz Künstlicher Intelligenz für die Auswertung von Erdbeben-Messdaten arbeitet. 2018 veröffentlichte seine Forschungsgruppe PhaseNet, eine Bildanalyse-KI, die zwei verschiedene seismische Wellen in den Messdaten der Geophysiker erkennen konnte.
2019 veröffentlichte seine Gruppe CRED eine Erdbebenanalyse-KI, deren Architektur von den Spracherkennungssystemen digitaler Assistenten inspiriert wurde – Welle ist schließlich Welle, ob sie sich nun durch die Luft oder die Erdkruste ausbreitet. Andere Forschungsgruppen veröffentlichten ähnliche Systeme.
Nun hat Mousavis Gruppe eine neue KI veröffentlicht: den Earthquake Transformer (EQTransformer).
Wie der Name verrät, setzt das Modell auf den neuen KI-Aufmerksamkeitsmechanismus der Transformer-Module. Transformer (Erklärung) sind maßgeblich für die großen Fortschritte von Sprach-KIs in den letzten zwei Jahren verantwortlich und werden seit einigen Monaten erfolgreich in der Bildanalyse eingesetzt.
EQTransformer ist die erste Erdbebenanalyse-KI, die mit dem Stanford Earthquake Dataset (STEAD) trainiert wurde, einer Sammlung von 1,2 Millionen Wellenformaufnahmen seismischer Signale aus Erdbebenregionen mit dazugehörigen Einordnungen über Art der Wellen, Einstufungen und anderen Informationen.
Die KI wurde überwacht (Erklärung) mit STEAD trainiert und lernte so, auftretende Erdbeben und die dazugehörigen Primär- und Sekundärwellen zu identifizieren.
EQTransformer erkennt zweimal mehr Erdbeben als menschliche Experten
Nach dem KI-Training testeten die Forscher EQTransformer an einem Datensatz mit Aufzeichnungen seismischer Aktivitäten aus fünf Wochen in der japanischen Präfektur Tottori.
Tottori wurde vor 20 Jahren durch ein Erdbeben der Stärke 6,6 und Nachbeben erschüttert. Der für das KI-Training verwendete STEAD-Datensatz enthält keine Daten aus Japan, die Analyse-KI wurde also mit einem neuen Szenario konfrontiert.
Im Test identifizierte EQTransformer 21.092 auffällige Ereignisse anhand von Daten aus 18 der 57 verfügbaren Messstationen. Eine Gruppe menschlicher Experten entdeckte mit Daten aller 57 Stationen nur rund die Hälfte der Ereignisse.
Der hohe Unterschied erklärt sich vor allem durch EQTransformers Genauigkeit bei der Erkennung sehr kleiner Beben. So erledigt die KI die Arbeit, für die menschliche Experten Monate benötigen in knapp 20 Minuten bei einem höheren Output.
Erdbeben-Überwachung fast in Echtzeit
Im direkten Vergleich mit PhaseNet und CRED schneidet EQTransformer ebenfalls besser ab. Es fehle jedoch an einem passenden Benchmark, schreibt Mousavi in seiner Forschungsarbeit. Der STEAD-Datensatz könne aber in Zukunft als solcher genutzt werden.
Beroza, ebenfalls an der Studie beteiligt, sieht EQTransformer als großen Schritt in eine Zukunft, in der KI-Systeme die Überwachung von Erdbeben in nahezu Echtzeit ermöglichen. Der Source-Code und das Modell sind auf GitHub verfügbar.
Via: Nature, Scitechdaily