Bären identifizieren ist schwer, sagt Bärenforscherin Melanie Clapham. Eine Gesichtserkennung für Bären soll daher Abhilfe schaffen.
Die Debatte um Gesichtserkennungs-Software ist in Europa und den USA in den letzten Monaten heftig geführt worden und hatte teils umfassenden Verbote zur Folge, etwa in Portland. Dessen unbeachtet haben KI-Forscher jetzt eine unvorhergesehene Nische für die Technologie entdeckt: Gesichtserkennung für Tiere.
Die gleichen KI-Architekturen, die sonst Menschen auf Bildern erkennen, können nach etwas KI-Training auch Rind-, Bär- oder Affengesichter analysieren. Anwendung findet die Technik in der Landwirtschaft und beim Tierschutz.
KI-gestützte Rind-Überwachung
Der amerikanische Farmer Joe Hoagland entwickelt etwa die App CattleTracs, die es jedem Rindbesitzer ermöglicht, Bilder von seinen Tieren zu schießen, um mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Die Bilder werden dafür mit GPS-Daten, Datum und Besitzdaten in der CattleTracs-Onlinedatenbank hinterlegt. Eine Gesichtserkennungssoftware soll schon einmal abfotografierte Rinder in dieser Datenbank finden und dem App-Nutzer Informationen über seine Tiere liefern.
Da Rinder in ihrem Leben häufig den Besitzer wechseln, ist die Rückverfolgung oft schwierig und kann etwa Untersuchungen von Ursprung und Ausbreitung von Krankheiten erschweren. Die Rinder-Gesichtserkennungs-App soll außerdem Blockchain-Technologie nutzen, um Lieferketten verfolgbar zu machen.
Bärerkennung für die Forschung und den Tierschutz
Abseits der wirtschaftlichen Anwendung gibt es seit einigen Jahren auch Versuche, KI-Erkennung für den Tierschutz zu nutzen. 2018 erschien etwa die App PrimID, mit der Nutzer ihre Fotos von Primaten mit denen einer Datenbank vergleichen können. Die App soll helfen, Bewegungen und Bestand bedrohter Primaten wie Lemuren, Goldmeerkatzen und Schimpansen zu tracken und den Handel mit Primaten bekämpfen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Wissenschaftler um Melanie Clapham vom BearID-Projekt. Clapham hat mehr als ein Jahrzehnt lang Grizzlybären in British Columbia, Kanada studiert, bevor sie mit den zwei Tech-Experten Ed Miller und Mary Nguyen BearID gründete.
Das Projekt nutzt Gesichtserkennung, um Grizzlybären auf Kameraaufnahmen zu identifizieren. Die „Bearface“ genannte Technologie findet die Gesichter und identifiziert sie anhand der Nase, den Augen und Merkmalen auf der Stirn.
Für die Bär-KI sammelten die drei Tierschützer 4.674 Bärenfotos, aufgenommen an den zwei beliebten Bären-Hotspots Knight Inlet und Brooks River. Die Künstliche Intelligenz wurde mit 80 Prozent der Fotos trainiert und mit 20 Prozent getestet. In einer jüngst veröffentlichten Forschungsarbeit hat das System eine Genauigkeit von 84 Prozent.
Aktuell kann das System 132 Bären an ihrem Gesicht erkennen – für mehr Bärenerkennung fehlen noch die Trainingsfotos. Dabei stehen die Tierschützer vor mehr als den aus der Gesichtserkennung üblichen Problemen.
Sie müssen sich wie bei menschlicher Gesichtserkennung mit unterschiedlichen Lichtbedingungen, verschiedenen Aufnahmewinkeln und sich ändernder Behaarung herumschlagen. Zusätzlich müssen sie jedoch Fotos von Grizzlybären sammeln, die bekanntlich keine Facebook-Profile besitzen und nur selten auf einem Selfie auftauchen.
Die vergleichsweise geringe Menge an Fotos – Gesichtserkennungssysteme für Menschen werden oft mit Millionen Fotos trainiert – wiegt doppelt schwer, denn mit mehr Traningsfotos würde mit der Genauigkeit des Systems auch die Anzahl identifizierbarer Bären steigen. Die drei Bär-Forscher wollen ihr System daher mit Aufnahmen von in der Wildnis auf bekannten Bär-Routen positionierten Kamerafallen verbessern.
Minimalinvasive Problembär-Identifikation
Das System soll Forscher bei der sonst schwierigen Identifikation einzelner Bären unterstützen und so dazu beitragen, mehr über das Verhalten und die Gewohnheiten der Tiere zu erfahren. Die Datenbank erlaubt außerdem, bisher nicht erfasste Tiere zu identifizieren und gibt so einen Einblick in die Populationsentwicklung.
Tracking-Systeme wie BearID seien auch abseits der Forschung relevant, sagt Clapham. Dank der Bäridentifikation könne man mit Videoüberwachung leicht feststellen, ob und welcher Bär Mülltonnen öffnet oder den Viehbestand eines Landwirts angreift.
Die Gesichtserkennung sei günstiger, langlebiger, weniger invasiv und gerade bei Bären weniger gefährlich als das RFID-Chippen. Langfristig könnte die BearID-Plattform auch für andere Tiere geöffnet werden. „Mit guten Trainingsdaten sollten wir in der Lage sein, für nahezu jede Spezies eine Gesichtserkennung zu entwickeln“, so Clapham.
Titelbild: BearID Project | Via: CNN