Eine neue Studie mit 666 Teilnehmern zeigt, dass intensive Nutzung von KI-Tools die Fähigkeit zum kritischen Denken deutlich reduziert. Besonders jüngere Menschen sind betroffen.
Eine umfangreiche Studie der Swiss Business School hat einen negativen Zusammenhang zwischen der Nutzung von KI-Tools und kritischem Denken aufgedeckt. Je häufiger Menschen KI-Werkzeuge nutzen, desto schlechter schneiden sie bei Tests zum kritischen Denken ab.
Forscher Michael Gerlich untersuchte 666 Teilnehmer verschiedener Altersgruppen und Bildungshintergründe. Zur Messung des kritischen Denkens verwendeten sie den standardisierten Halpern Critical Thinking Assessment (HCTA). Dieser Test kombiniert Multiple-Choice- und offene Fragen, um verschiedene Aspekte des kritischen Denkens zu prüfen - von Argumentationsanalyse bis zur Bewertung von Wahrscheinlichkeiten.
Die Ergebnisse zeigen eine starke negative Korrelation zwischen KI-Nutzung und den HCTA-Testwerten. Diese Korrelation wird durch "kognitive Entlastung" vermittelt - die Tendenz, Denkaufgaben an KI-Tools zu delegieren. Während der HCTA-Test objektive Messwerte zum kritischen Denken liefert, basieren die Angaben zur KI-Nutzung jedoch auf den eigenen Aussagen der Teilnehmer.
Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt laut der Studie bei jüngeren Teilnehmern zwischen 17 und 25 Jahren. Diese Gruppe zeigte die höchste KI-Nutzung und gleichzeitig die niedrigsten Werte beim kritischen Denken. Ältere Teilnehmer über 46 Jahre nutzten KI-Tools weniger und schnitten bei Tests zum kritischen Denken besser ab.
Bildung als Schutzfaktor
Ein höheres Bildungsniveau erwies sich als wichtiger Schutzfaktor. Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen zeigten trotz KI-Nutzung bessere Fähigkeiten im kritischen Denken. Sie hinterfragten KI-generierte Informationen häufiger und engagierten sich stärker in tiefgehendem Denken.
In Interviews äußerten viele Teilnehmer Bedenken über ihre wachsende Abhängigkeit von KI. Ein 25-jähriger Teilnehmer bemerkte: "Ich verlasse mich so sehr auf KI, dass ich nicht wüsste, wie ich bestimmte Probleme ohne sie lösen sollte."
Empfehlungen für Bildung und Praxis
Der Forscher empfiehlt, KI-Tools in Bildungseinrichtungen ausgewogen einzusetzen. Statt KI-Werkzeuge passive Aufgaben übernehmen zu lassen, sollten aktive Lernstrategien gefördert werden, die kritisches Denken erfordern.
Lehrer sollten geschult werden, KI-Tools so zu integrieren, dass sie das kognitive Engagement der Schüler nicht untergraben. Zudem sollten Schüler lernen, wann und wie sie KI-Tools angemessen nutzen können, ohne ihre kognitiven Fähigkeiten zu vernachlässigen.
Die Studie zeigt auch, dass das Vertrauen in KI-Tools eine wichtige Rolle spielt. Je mehr Menschen KI vertrauen, desto eher delegieren sie kognitive Aufgaben - ein Kreislauf, der das kritische Denken weiter schwächt.
Gerlich betont die Komplexität der gefundenen Zusammenhänge. Die Studie zeige zwar eine deutliche negative Korrelation zwischen KI-Nutzung und kritischem Denken, der zugrundeliegende Mechanismus sei aber vielschichtig. Die Ergebnisse legen nahe, dass KI-Tools trotz ihrer Vorteile bezüglich Effizienz und Zugänglichkeit möglicherweise unbeabsichtigt das Engagement in tiefgehendes, reflektierendes Denken verringern könnten.
Der Forscher sieht weiteren Forschungsbedarf: Insbesondere Langzeitstudien seien nötig, die die kognitive Entwicklung und KI-Nutzungsmuster von Menschen über mehrere Jahre hinweg verfolgen. Nur so könne man die langfristigen Auswirkungen umfassend verstehen.