Neurowissenschaftler diskutieren bei Twitter die Ankündigungen von Elon Musks Hirnschnittstellen-Startup Neuralink. Wird die Technologie dem Hype gerecht?
Um die Antwort vorwegzunehmen: Ja und Nein. Zwar konnte Neuralink letzte Woche vielleicht keine bahnbrechende Technologie oder beeindruckende Demos zeigen. Aber Musk und Kollegen machten klar: Wir legen uns ins Zeug, träumen groß und schaffen zunächst die Grundlagen für die Zukunftstechnologie.
Passend zu dieser Haltung hallt es in der Neuroabteilung der Echokammer Twitter wider: Adam Marblestone zum Beispiel untersucht für Googles KI-Schwester Deepmind mögliche Verbindungen zwischen Neurowissenschaft und Künstlicher Intelligenz.
Ihm fehlt der ganz grundlegende Durchbruch, den er zum Beispiel bei der Übertragung via Infrarotlicht oder Ultraschall vermutet. Neuralink beschleunige zwar den Stand aktueller Technologie mit Ingenieurskunst. Aber es benötige grundlegende wissenschaftliche Durchbrüche.
Think of Neuralink as the default/background state of neurotech, accelerated. They are climbing Everest with bigger team/better gear (engineering). What is really needed is a helicopter (science-intensive breakthrough). https://t.co/O8ydiDddfB
— Adam Marblestone (@AdamMarblestone) 17. Juli 2019
Noch kritischer urteilt der Biomedizintechniker Kip Ludwig von der Universität Wisconsin: Neuralink zeige keine neuen Ansätze für grundlegende Probleme. Viele Technologien existierten bereits in der Industrie. Sie würden allerdings nicht angewandt, da die Geschäftsidee fehle.
Which is why my response to the Musk announcement is *meh*. No new ideas that address the fundamental problems, most of this has existing IP in industry already they aren’t acting on because no business case.
— Kip Ludwig (@KipLudwig) 18. Juli 2019
Der Neurowissenschaftler David Sussillo aus Googles KI-Einheit Brain Team argumentiert, dass Neuralink für den kurzfristigen medizinischen Einsatz und die nächsten Schritte in der Forschung hervorragend aufgestellt sei.
For the short-term medical applications and next-step scientific research (say 10-20 year horizon), they seem extremely well positioned.
— David Sussillo ☝️? (@SussilloDavid) 17. Juli 2019
Andrew Hires, Neurobiologe an der Universität Südkalifornien, verweist auf eine Forschungsarbeit aus 2017, die wie Neuralink die Implantation von dünnen, mit Elektroden versehenen Fasern ins Gehirn untersucht. Hires Fazit zu Neuralink fällt insgesamt positiv aus: Das Unternehmen habe die derzeit beste Labortechnologie in einiger Hinsicht verbessert und ein implantierbares Produkt entwickelt, das über den Stand der Technik hinausgeht.
Xie used bio dissolvable polymers to attach threads to tungsten microwave guides as thin as 7um diameter (slightly smaller than most neuron cell bodies). That size would minimize damage. The threads got good SNR recordings for 4+ months. pic.twitter.com/72jhIxS6NX
— Andrew Hires (@AndrewHires) 17. Juli 2019
So wie Marblestone sieht Hires offenbar langfristig mehr Potenzial bei neuen Übertragungstechnologien: Licht statt Elektroden.
Interested in what’s beyond Neuralink?
This new breakthrough in read/write access to the brain achieves far more precise control of patterns of brain activity using holographic projection of constellations of laser light into the brain (in mice). https://t.co/bODFQrK5z7
— Andrew Hires (@AndrewHires) 18. Juli 2019
Beeindruckt ist Hires vom Implantationsroboter, der die Elektrodendrähte eines Tages zackig und unfallfrei ins Gehirn treiben soll. Er besitzt unter anderem eine automatische Bewegungskontrolle analog zum Herzschlag und der Atmung des Implantatempfängers, damit er nicht verwackelt und so Blutungen verursacht.
The implantation robot has adaptive motion correction for heartbeat and breathing. This is really hard and really important to not hit blood vessels. Impressive. pic.twitter.com/0iIh0aymLq
— Andrew Hires (@AndrewHires) 17. Juli 2019
In diesem Kontext meldet sich die US-Militärbehörde Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) zu Wort: Der Roboter sei von der Universität San Francisco entwickelt worden mit staatlicher Finanzierung.
We're excited to see progress being made @neuralink on new neural interface tech! The "sewing machine" robot for placing electrodes was developed by @UCSF w/ DARPA funds. This type of transition from govt to industry shows how DARPA creates opportunity by removing technical risk. pic.twitter.com/JqBxA6bQzI
— DARPA (@DARPA) 17. Juli 2019
Neuralinks Topwissenschaftler Philip Sabes bedankt sich derweil für die vielen Analysen und das große Interesse. Der Weg sei noch weit, aber es sei toll zu sehen, was möglich sei, wenn ein interdisziplinäres Weltklasseteam Hand in Hand arbeite. Sabes bestätigt außerdem, dass sich Neuralink nicht nur damit befasse, Signale aus dem Gehirn abzugreifen, sondern diese auch zu interpretieren.
Happy to see all the interest in #neuralink this week, and some thoughtful analysis as well. We still have a long way to go, but it’s been great to see how much happens when a team of world-class people with such different expertise work side-by-side, focused on the same goals.
— Philip Sabes (@PhilipSabes) 21. Juli 2019
Titelbild: National Governors Association (Screenshot bei YouTube)