Der renommierte Physiker und Informatiker Stephen Wolfram warnt vor unrealistischen Erwartungen an KI, sieht aber auch große Chancen für wissenschaftlichen Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel - wenn wir lernen, damit umzugehen.
In einem Interview mit dem Magazin Reason spricht Wolfram über seine Hoffnungen und Befürchtungen im Hinblick auf Künstliche Intelligenz (KI).
Die Meinungen dazu seien geteilt: Die einen fürchten, dass KI-Systeme die Menschheit vernichten, die anderen halten sie für zu dumm, um etwas Interessantes zu leisten.
Wolfram selbst sieht in KI vor allem eine Weiterentwicklung der Automatisierung durch Technologie. Sie hebe das Fundament für menschliches Handeln auf eine neue Stufe.
Allerdings ließen sich generative KI-Systeme, die auf neuronalen Netzen und menschlichen Trainingsdaten basieren und mit Vorhersagen arbeiten, nur bedingt für die Wissenschaft einsetzen.
Zwar könnten sie menschliche Erfindungen wie die Sprache gut vorhersagen. Bei Naturphänomenen stießen sie jedoch an Grenzen, da viele physikalische Prozesse nicht im Voraus berechnet werden könnten. KI-Modelle seien eben "gehirnähnliche Dinge, die gehirnähnliche Dinge tun", so Wolfram. Es gebe keine Garantie, dass sie die natürliche Welt verstehen könnten.
Positiv sieht der Forscher die Möglichkeit von KI-Tutoren, die Schüler individuell betreuen und motivieren. Auch in der Behördenkommunikation und der politischen Entscheidungsfindung sieht er Potenzial, warnt aber davor, Verantwortung blind an Maschinen abzugeben. Vielmehr sei neues politisches Denken gefragt.
KI sei weder gut noch böse, sondern verstärke menschliche Tendenzen, betont Wolfram. Schränke man die KI zu sehr ein, werde sie wenig Neues hervorbringen.
Lasse man ihr freien Lauf, werde sie Dinge tun, die man weder vorhersehen noch wollen könne. Man müsse einen Mittelweg zwischen Kreativität und Kontrolle finden. Beim Menschen sei es ähnlich.
"Wir sagen: 'Ich will, dass viele Leute diese Art von Wissenschaft betreiben, weil sie wirklich cool ist und Dinge entdeckt werden können.' Aber sobald viele Leute das tun, entsteht eine institutionelle Struktur, die es schwierig macht, dass neue Dinge passieren", sagt Wolfram.
Dennoch sieht er in der kollektiven Anstrengung beim Aufbau einer KI-Infrastruktur auch eine Chance für kreative Durchbrüche, die einem Einzelnen verwehrt blieben: "Man braucht diese kollektive Anstrengung, um die gesamte Plattform zu heben."