Warum hat Europa bisher kein Billion-Dollar-Technologieunternehmen hervorgebracht? Das hat mehrere Gründe, glauben Beobachter wie Metas KI-Chef Yann LeCun.
Laut einer Analyse von Ian Hogarth in der Financial Times hat Europa ein grundlegendes Problem: Während die USA sieben Tech-Unternehmen mit einer Billion Dollar Marktwert vorweisen können, gibt es in Europa kein einziges.
Auch bei einem Zehntel dieser Summe sieht es ähnlich aus: Die USA verfügen über 33 Tech-Unternehmen mit einem Wert von mehr als 100 Milliarden Dollar, während Europa nur vier solcher Unternehmen vorweisen kann.
Besonders deutlich wird Europas verpasste Chance am Beispiel DeepMind. Das 2010 in London gegründete KI-Unternehmen wurde für rund 440 Millionen Euro an Google verkauft - heute ist es einer der weltweit führenden KI-Entwickler.
Rolle der Industrieforschung werde unterschätzt
Meta-Forschungschef Yann LeCun weist in einer Reaktion auf den FT-Artikel auf einen wichtigen Faktor hin: Fast alle grundlegenden KI-Innovationen der letzten zwölf Jahre stammten nicht von Start-ups, sondern von gut finanzierten Forschungslaboren großer Technologieunternehmen wie Google, Meta und Microsoft.
LeCuns Meinung nach hätte DeepMind ohne die Übernahme durch Google nie überlebt. Das ursprüngliche Geschäftsmodell als unabhängiges Unternehmen sei nicht tragfähig gewesen - sowohl wegen der hohen Kosten für Langzeitforschung als auch wegen zu optimistischer Zeitpläne für die Entwicklung allgemeiner Künstlicher Intelligenz (AGI).
Während Europa in den 1980er Jahren noch über bedeutende Forschungslabore bei Unternehmen wie Siemens, France Telecom oder Alcatel verfügte, haben europäische Unternehmen laut LeCun verpasst, Forscherkarrieren so attraktiv zu gestalten wie US-Technologiekonzerne.
Der Meta-Forschungschef sieht in der Existenz ambitionierter Industrieforschung einen wichtigen Katalysator für das gesamte Startup-Ökosystem. Als Beispiel nennt er die Gründung des Meta AI Research Lab (FAIR) in Paris im Jahr 2015: Dieses habe fast im Alleingang das KI-Startup-Ökosystem in Paris belebt, das heute das dynamischste in Europa sei.
Dort ist etwa Mistral ansässig, das vielversprechende, quelloffene Sprachmodelle entwickelt. Nach einer Finanzierungsrunde im Juni wird Mistral mit rund sechs Milliarden Dollar bewertet.
Mangel an erfahrenen Gründern und mutigen Investoren
Ein Hauptgrund für Europas Rückstand liegt laut der Hogarths Analyse in der mangelnden Unterstützung für erfahrene Gründer. Während in den Top-Venture-Capital-Fonds im Silicon Valley über 60 Prozent der Partner selbst Gründer waren, sind es in Europa nur 8 Prozent.
Dies hat direkte Auswirkungen auf die Risikobereitschaft: DeepMind-Gründer Demis Hassabis - der vor DeepMind bereits ein Games-Studio gegründet hatte - musste für seine erste Finanzierungsrunde nach Silicon Valley gehen, wo er Unterstützung von erfahrenen Gründern wie Peter Thiel und Elon Musk erhielt.
Hogarth nennt aber auch positive Beispiele: Das niederländische Unternehmen ASML, heute 275 Milliarden Dollar wert, arbeite seit 1984 konsequent an seiner Mission. Der schwedische Spotify-Gründer Daniel Ek lehnte ein milliardenschweres Übernahmeangebot von Google ab, heute ist Spotify 95 Milliarden Dollar wert.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt laut Hogarth darin, dass Europa aufhören muss, seine wertvollsten Unternehmen an US-Konzerne zu verkaufen. Stattdessen brauche es mehr erfahrene Gründer, die riskante, aber wichtige Technologien finanzieren, und die Entschlossenheit, Unternehmen langfristig in Europa aufzubauen.