Zu viele Bewerber? Kein Problem mit KI-gestützter Vorauswahl. Das US-Unternehmen Hirevue liefert eine entsprechende Software an Großkonzerne.
Große Unternehmen haben Bewerber ohne Ende, aber nur eine begrenzte Anzahl Personaler. Eine mögliche Lösung: KI-gestützte Bewerbungsgespräche, die den Prozess automatisieren. Zukunftsmusik ist das nicht: Das auf KI-Bewerbungsverfahren spezialisierte Unternehmen Hirevue wurde 2004 gegründet – da gab es nicht mal Smartphones.
Seitdem hat das US-Unternehmen fast 100 Millionen US-Dollar an Investitionen erhalten, 2018 den britischen Konkurrenten MindX geschluckt und zählt heute weltweit agierende Wirtschaftsgrößen zu seinen Kunden: etwa Vodafone, Intel, Hilton oder Ikea.
Wie der britische Telegraph berichtet, ist Hirevues KI-Analyse auch in Europa angekommen: Der Konsumgüterriese Unilever setzt in England auf Hirevues Künstliche Intelligenz, um vermeintlich untaugliche Bewerber auszusortieren.
Hirevues KI hört mit, schaut zu und bewertet
Hirevue setzt KI für die Sprach- und Gesichtsanalyse ein. Je nach Kundenwunsch bieten Hirevues Bewerbungsverfahren etwa Spiele, die Intelligenz testen sollen und automatisierte Videointerviews.
In den Interviews beantworten Teilnehmer eine Reihe identischer Fragen. Hirevues KI analysiert Sprache, Ton und Mimik der Kandidaten. Wer der KI gefällt, rückt im Verfahren weiter. Die anderen sortiert der Algorithmus nach unten - und damit wohl aus. Bis zu 25.000 Gesichts- und Sprachaufnahmen flossen ins KI-Training.
Die KI analysierte laut Hirevue bereits 100.000 Interviews in England. Weltweit seien es alle 90 Tage circa eine Million. Hirevue sieht die KI-Analyse als zuverlässigeren Indikator für zukünftige Leistungen als klassische Lebensläufe. Zusätzlich würden so menschliche Vorurteile vom Bewerbungsprozess ausgeschlossen.
Mit sympathischer Mimik zum Jobinterview
Die Kandidaten werden nach dem Interview auf einer Skala von eins bis 100 eingeordnet. Grundlage sind die Daten vorheriger erfolgreicher Bewerber. Hirevue bietet Bewerbern eine kostenlose Interview-App an, in der sie ihre Antworten vorab trainieren können.
Die KI analysiert Sprache und Mimik der Bewerber. Passend zur Stellenausschreibung legt sie andere Schwerpunkte: Spricht der Bewerber vom "Ich" oder "Wir"? Welcher Wörter nutzt er und wie lange sind seine Sätze? Auf der Suche nach einem Doktor könne man etwa die aussortieren, die wenig Fachsprache nutzen, sagt Loren Larsen gegenüber dem Telegraph. Larsen ist Technikchef bei Hirevue.
Wer einen Verkäufer suche, könne Bewerber aussortieren, die zu langsam oder schnell sprechen. Sympathisch soll er sein? KI-Gesichtsanalyse soll entsprechende Merkmale im Gesicht erkennen. Diese Analyse verrate auch etwas über Emotionen, Verhalten und Persönlichkeit, sagt Hirevues leitender Psychologe Nathan Mondragon.
https://www.youtube.com/watch?v=3yRx7lm4poc
Tauschen wir menschliche gegen maschinelle Vorurteile aus?
Dass KI-Emotionserkennung oder gar die Zuschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen anhand einer Gesichtsanalyse zuverlässig funktioniert, ist zu bezweifeln. Eine Studie zeigte kürzlich, dass entsprechende KI-Algorithmen auf fragwürdiger Forschung basieren und oft falsch liegen.
Auch Griff Ferris, Mitglied der gemeinnützigen britischen Organisation "Big Brother Watch", warnt vor den Schwächen KI-gestützter Analyseverfahren: "Dieser Algorithmus wird versuchen, die extreme Komplexität menschlicher Sprache, Körpersprache und Ausdrucksweise zu erkennen und zu messen. Das wird sich zwangsläufig nachteilig auf unkonventionelle Bewerber auswirken."
Hirevue müsse die KI mit einem sehr diversen Datensatz trainieren, um maschinelle Vorurteile zu vermeiden, sagt Ferris. Andernfalls würden antrainierte Vorurteile einzelne Bewerber zwangsläufig diskriminieren.
Ferris Warnungen kommen nicht von ungefähr: Amazon stellte letztes Jahr eine KI-Recruiting-Software ein, die bei der Auswahl geeigneter Kandidaten für technische Berufe Frauen systematisch benachteiligte.
Larsen selbst sieht das freilich anders: Er würde lieber von einem fairen KI-System bewertet als von einem übermüdeten Personaler.
Quelle: Telegraph; Titelbild: Microsoft