Ethische Leitplanken für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz sind gerade schick. Jetzt hat auch die EU eigene Ethik-Leitlinien entwickelt. Die sind umfangreich und detailliert – aber ohne rote Linien.
Das veröffentlichte Papier der „High-Level Expert Group on Artificial Intelligence“ beschreibt Richtlinien auf dem Weg zu einer „vertrauenswürdigen KI“. Die Richtlinien sollen den breiten Einsatz von KI ermöglichen ohne ethische Bedenken oder (ir)rationale Befürchtungen der EU-Bürger auszulösen.
Die Richtlinien lauten: menschliche Kontrolle, robuste Systeme, Datenschutz, Transparenz, Vielfältigkeit, Verantwortlichkeit und gesellschaftliches sowie ökologisches Wohlergehen. In diesen grundlegenden Punkten gleicht das Papier den Veröffentlichungen anderer Institute oder der großen Tech-Konzerne, wie sie mittlerweile zu Dutzenden verfasst wurden.
Neu ist der Detailgrad der Ausführungen: Auf 40 Seiten werden die Punkte ausführlich erklärt. Mitautor und Philosoph Thomas Metzinger sagt dazu: „Es ist das Beste und Substanziellste, was wir derzeit auf dem Planeten zu diesem Thema haben.“
Europäische KI-Ethik ist verhandelbar
Doch Metzinger übt auch Kritik: Werte, die nicht verhandelbar seien, suche man in dem EU-Papier vergebens. Die waren aber Teil früherer Entwürfe. Metzinger und sein Kollege Urs Bergmann, KI-Entwickler bei Zalando, hielten solche roten Linien fest, die nicht überschritten werden sollten: Forschung an autonomen Waffensystemen, KI-Überwachung wie Gesichtserkennung, Scoring-Systeme wie in China oder KI-Systeme, die nicht als solche erkennbar sind.
Im jetzt veröffentlichten Papier finden sich die Wörter „nicht verhandelbar“ oder „rote Linien“ nicht mehr. „Es gibt jetzt in diesem Dokument keine nicht verhandelbaren ethischen Prinzipien mehr“, sagt Metzinger.
In der EU-Expertengruppe sitzen neben Metzinger noch 51 andere Fachleute, davon 26 aus der Industrie wie Google, IBM, SAP oder Lobbyverbände. Zahlreiche dieser Fachleute hätten durchgesetzt, dass ein Begriff wie „nicht verhandelbar“ nicht mehr in den Richtlinien auftaucht.
„Ethics washing“
Metzinger wirft den Konzernen „ethics washing“ vor. Er meint damit: Unternehmen initiieren ethische Debatten und drücken sich so vor gesetzlichen Regelungen. Der Trend ist erkennbar: Facebook, Amazon und Google investieren in Ethikforschung oder nehmen aktiv daran teil.
Die daraus entstehenden ethischen Regelungen sind nicht bindend und unter Umständen durch wirtschaftliche Interessen verwässert. Es brauche Gesetze, so Metzinger, „Regeln, die bindend sind, durchsetzbar und demokratisch voll legitimiert.“
Bis Juni soll die Expertengruppe nun genau solche Regulierungen suchen und diese der EU-Kommission vorschlagen. Teil der Aufgabe ist es auch, Vorschläge zu erarbeiten für den Einsatz der 20 Milliarden Euro EU-Fördermittel für Künstliche Intelligenz.
Quellen: EU, Netzpolitik; Titelbild: EU