Das Bostoner Startup Enaible will mit KI die Job-Performance messen. In der aktuellen Home-Office-Phase hat es besonders viele Anfragen.
Nur rund drei Stunden eines achtstündigen Arbeitstages seien produktiv, 68 Prozent der Angestellten seien nicht ausreichend beschäftigt, zwei Drittel würden ein Burnout-Syndrom erfahren - mit solchen Zahlen will das 2018 gegründete KI-Startup Enaible die eigene Software an Unternehmen verkaufen. Mit rund zwei Millionen US-Dollar ist Enaible derzeit gefördert.
Die gleichnamige Software Enaible misst die Produktivität einzelner Angestellter und von Teams basierend auf einem Datengemisch, das aus Quellen wie Office 365, Salesforce oder Workday gezogen wird. Laut Enaible müssen Unternehmen keine eigenen Datensätze zusammenstellen. Das System soll auf Basis vorhandener Zeiterfassungssysteme funktionieren.
Per Algorithmus wird dann ein sogenannter Produktivitätswert in einer Browser-Software oder in einer Smartphone-App ausgegeben. Der Wert soll Führungskräften helfen, bessere Personalentscheidungen zu treffen.
Auslöser, Aufgabe, Aufwand
Enaible spricht konkret vom markenrechtlich geschützten "Trigger-Task-Time"-Algorithmus, der Faktoren wie Komplexität einer Aufgabe, die Uhrzeit, die Dauer und andere Muster berücksichtigt: Ein Trigger wie ein Telefonanruf führt beispielsweise zu einer Aktion am Computer, die dann eine bestimmte Zeit benötigt.
Die Software läuft im Arbeitsalltag durchgehend im Hintergrund und soll sich so individuell auf die Aufgaben einzelner Angestellter einstellen und typische Workflows lernen können.
Anhand der Beschreibung des Messverfahrens wird deutlich, dass sich die Produktivitätsbewertung eher für die Analyse repetitiver statt kreativer Aufgaben eignen dürfte, beispielsweise beim Kundenservice oder in Call Centern.
https://www.youtube.com/watch?v=7jR0OdXIHeU
"Unternehmen entlassen Leute"
Die KI-Software soll dann basierend auf der Trigger-Task-Time-Analyse individualisierte Empfehlungen für Produktivitätsverbesserungen aussprechen können, passend zu den Bedürfnissen eines Entscheiders. Teams oder einzelne Angestellte können auch selbst in die Software schauen und Empfehlungen spezifisch für ihre Aufgaben einsehen.
Wie genau der Algorithmus trainiert wird und nach welchem Schema er auswertet und empfiehlt, verrät das Startup nicht öffentlich. Unklar ist daher zum Beispiel, wie Enaible verhindert, dass sich in die Trainingsdaten Vorurteile gegen einzelne Aufgaben, Angestellte oder Arbeitergruppen einschleichen - ein gängiges Problem aktueller KI-Software.
Enaible-Geschäftsführer Tommy Weir ist jedenfalls davon überzeugt, dass seine Software bessere Entscheidungen ermöglicht. "Unternehmen entlassen Leute - haben sie schon immer. Aber man kann objektiv oder subjektiv entscheiden."
Das KI-Programm vergleicht er mit einer Person, die den ganzen Arbeitstag hindurch neben Angestellten steht, ihre Arbeit beobachtet und Tipps gibt, wie sie diese verbessern können. Weir geht davon aus, dass das Arbeitsplatz-Monitoring in den nächsten sechs bis zwölf Monaten zum Standard wird.
Höhere Nachfrage wegen Home Office
Laut Enaible wird die Software gerade im Zollamt von Dubai ausgerollt, das in den nächsten zwei Jahren mit Lohneinsparungen in Höhe von 75 Millionen US-Dollar rechnet. Auch der Werbe-, PR- und Marketingkonzern Omnicom Media Group nutzt Enaible mit dem Ziel, "die interne Kapazität auszubauen, ohne mehr Leute einzustellen."
Weir berichtet von einer viermal höheren Nachfrage seit Beginn der Corona-Pandemie, wegen der viele Firmen ihre Angestellten ins Home Office schicken mussten - auch jene Unternehmen, die eigentlich durch eine Präsenzkultur geprägt und nicht auf Home Office vorbereitet sind. Der gefühlte Kontrollverlust soll offenbar durch Software kompensiert werden.
Für Enaible-Chef Weir jedenfalls ist die Pandemie-Phase "die perfekte Zeit", eine KI prüfen zu lassen, was Angestellte machen: "Lasst die Maschinen lernen und die Menschen führen."
Quellen: MIT Technology Review, Webseite Enaible, Enaible Blog; Titelbild: Enaible (Screenshot)