Der bekannte KI-Forscher und Nobelpreisträger Geoffrey Hinton räumt ein, dass er mit seiner berühmten Aussage zu "KI ersetzt ganz offensichtlich Radiologen" zu früh dran war.
Der New York Times sagt Hinton, er habe sich 2016 zu sehr auf den Teilbereich der Bildanalyse konzentriert und die zeitliche Entwicklung überschätzt. Die grundlegende Richtung sei aber richtig – in Zukunft werde die Arbeit von Radiologen gemeinsam mit KI "viel effizienter und akkurater".
Damals sagte Hinton, man solle ab sofort keine Radiologen mehr ausbilden. Der Beruf sei wie der Cartoon-Coyote "über die Klippe gegangen" und habe noch nicht bemerkt, dass "kein Boden mehr da ist". Deep Learning werde innerhalb von fünf Jahren bessere Ergebnisse liefern als Radiologen, weil es "viel mehr Erfahrung" habe. Im Hintergrund sieht man begeistert Richard Sutton nicken, bekannt für seine Arbeit zum Reinforcement Learning und Träger des Turing-Awards.
KI hilft bei Aufgaben, statt Berufe zu ersetzen
An der Mayo Clinic zeigt sich laut New York Times, dass Künstliche Intelligenz Radiologen nicht ersetzt, sondern bei Routineaufgaben unterstützt und die Genauigkeit verbessert. Die Radiologieabteilung der Klinik nutzt inzwischen über 250 KI-Modelle – teils selbst entwickelt, teils von Drittanbietern zugekauft. Besonders aktiv ist der Einsatz in der Radiologie und Kardiologie.
Die KI-Tools analysieren Bilddaten schneller, markieren auffällige Stellen und helfen bei der Erkennung von Blutgerinnseln oder Tumoren. Ein Beispiel ist ein Programm, das automatisch das Nierenvolumen misst – eine Aufgabe, die früher manuell und zeitaufwendig war.
Dr. Matthew Callstrom, Leiter der Radiologieabteilung, beschreibt KI als "zweites Augenpaar", nicht als Ersatz. KI könne Routinearbeiten übernehmen, nicht aber die ärztliche Bewertung im Einzelfall. KI-gestützte Abläufe sind heute fest im Klinikalltag verankert.
Trotz des zunehmenden KI-Einsatzes ist die Zahl der Radiologen an der Mayo Clinic seit 2016 um 55 Prozent gestiegen – von rund 260 auf über 400. Das spricht dafür, dass KI bislang eher ergänzt als verdrängt.
Was man aus Hintons Fehlprognose lernen kann
Entsprechend skeptisch sollte man die aktuellen Prognosen aus der KI-Branche betrachten. Aussagen wie die von OpenAI-Chef Sam Altman, dass KI bald ganze Berufsfelder ersetzen werde, greifen häufig zu kurz. Oft fehlt die Unterscheidung zwischen einzelnen Aufgaben und vollständigen Berufen – so auch bei Geoffrey Hinton, der 2016 die Komplexität des Radiologenberufs auf die reine Bildanalyse verkürzte.
Und selbst wenn eine weitgehende Automatisierung ganzer Berufe technisch bald möglich wäre, dürfte sie durch kulturelle, organisatorische und gesetzliche Rahmenbedingungen deutlich langsamer verlaufen als von manchen angenommen.
KI-Spezialisten wäre zu raten, sich für ein wenig Aufmerksamkeit oder Investoreninteresse nicht vorschnell über Berufe zu äußern, deren fachliche Tiefe sie selbst kaum beurteilen können. Nicht, weil sie Jahre später womöglich falschliegen – das wird selten geahndet –, sondern weil es ein Zeichen von Respekt gegenüber den Menschen ist, die diese Berufe mit Erfahrung und Verantwortung ausüben.
Hätte das medizinische Fachpersonal 2016 tatsächlich auf Geoffrey Hintons Rat gehört und die Ausbildung von Radiologinnen und Radiologen eingestellt, wären die Folgen für die Patientenversorgung heute gravierend.