2017 dominierte Künstliche Intelligenz Brettspiele, produzierte Fake-Media und spaltete die Tech-Branche: Kommt die Killer-KI oder nicht?
Wer die Killer-KI fürchtet, kann zumindest 2018 weiter ruhig schlafen: Eine generelle Künstliche Intelligenz, die bewusst denkt und komplex handelt wie ein Mensch, ist auch nach diesem Jahr noch in weiter Ferne. Das macht KI-Systeme aber nicht zu einer Fußnote, im Gegenteil.
Die Menschheit wird gut damit beschäftigt sein, mit den kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen von hochqualifizierten Expertensystemen umzugehen. Sie treiben die Automatisierung von allem voran und generieren aus großen Datenmengen neue Erkenntnisse, die dem menschlichen Verstand ansonsten verborgen blieben.
Für die einen ist das der Schlüssel, um die großen Probleme der Menschheit zu lösen - komplexe Krankheiten, den Klimawandel, kollabierende Finanzmärkte. Für andere sind die im Hintergrund arbeitenden Algorithmen eine unsichtbare Bedrohung, die Kontrolle ausüben, ohne dass Kontrolle wahrgenommen wird.
In 2017 zeigten Unternehmen und Forscher in vielen Szenarien, wozu fortschrittliche KI-Systeme derzeit in der Lage sind. Wir haben drei Meilensteine ausgewählt:
Platz 1: Googles Super-KI lernt eigenständig und spielt nicht mehr nur Go
Als Googles Super-KI AlphaGo im März 2016 den südkoreanischen Meister Lee Sedol im komplexen Brettspiel Go besiegte, war das für die KI-Forschung ein Durchbruch wie die Mondlandung für die Raumfahrt. Im Oktober 2017 übertrumpfte Google diesen Erfolg um ein Vielfaches: Die Nachfolgeintelligenz AlphaGo Zero schlug souverän das Vorgängermodell bei geringerem Energieverbrauch.
Der eigentliche Durchbruch: AlphaGo Zero benötigte für seinen Triumph kein menschliches Vorwissen. Wo AlphaGo noch auf die Analyse von Millionen menschlicher Spielzüge angewiesen war, lernte Go Zero im Spiel gegen sich selbst allein anhand der Spielregeln. Die englische Null trägt die KI daher symbolisch im Namen: Sie steht für die nicht mehr notwendige menschliche Eingabe, sobald der Lernprozess in Gang gesetzt wurde. Laut Google benötigte die KI wenige Tage, um ein Spielniveau zu erreichen, für das die Menschheit "tausende Jahre lernte".
Im Dezember vermeldete Google den zweiten signifikanten Durchbruch für 2017: Die Selbstlernfähigkeiten von Go Zero konnten auf die Brettspiele Schach und Shogi übertragen werden. Laut Google ein wichtiger Schritt, um hochgradig spezialisierte KI-Systeme flexibler zu machen. Die neue Version heißt daher Alpha Zero, ohne Go. Und: Sie konnte die eigene Vorgänger-KI Go Zero nach nur acht Stunden Training besiegen.
Platz 2: Künstliche Intelligenz könnte Fake-Multimedia demokratisieren
Algorithmen sind bereits tief im digitalen Medien- und Informationssystem verankert. Offensichtlich wurde das rund um die Filterblasen-Diskussion in Social Media: Anhänger einer politischen Denkrichtung sehen in Facebooks Nachrichtenstrom priorisiert Beiträge Gleichgesinnter und fühlen sich so in ihrer eigenen Weltanschauung bestätigt, lautet eine gängige These. Und Chat-Roboter treten als Fake-Personas bei Twitter oder Facebook auf und machen gezielt Stimmung im Wahlkampf.
Künstliche-Intelligenz-Forscher zeigten in diesem Jahr, dass wir in Zukunft noch weniger trauen dürfen, was wir im Netz sehen und hören: Sie erschufen mit selbstlernenden KI-Systemen glaubhafte Portraitfotos von Prominenten, die nie geboren wurden. Die Gesichter realer Promis tauchten plötzlich in Pornos auf, in denen sie nie mitgespielt hatten. Ein KI-System erstellte automatisiert synchrones Fake-Audio für Videos, das in vielen Fällen nicht oder nur schwer von der realen Soundkulisse zu unterscheiden ist.
Die Bilder in den Videos sind ebenfalls nicht vor Fälschung gefeit: Eine KI des Chipherstellers Nvidia veränderte eigenständig die visuelle Struktur von Armaturenbrett-Videos, machte aus einer trockenen Straße eine nasse oder den Tag zur Nacht. Die Fälschungen könnten laut Nvidia zum Beispiel genutzt werden, um autonomen Fahrzeugen außergewöhnliche Wettersituationen beizubringen.
Ein Journalist des Tech-Magazins Wired sprach in diesem Kontext von der "kompletten Vernichtung des Vertrauens in alles, das man sieht oder hört." Und für Googles KI-Forscher Ian Goodfellow ist es ein "historischer Glücksfall", dass sich die Menschheit in den letzten Jahrzehnten für die Wahrheitsfindung weitgehend auf Videos verlassen konnte.
The biggest casualty to AI won't be jobs, but the final and complete eradication of trust in anything you see or hear. https://t.co/sg9o4v2Q3f pic.twitter.com/nkj007LtEF
— Oli Franklin-Wallis (@olifranklin) 4. Dezember 2017
Die Neuigkeit ist nicht, dass Bilder und Videos glaubhaft gefälscht werden können, sondern dass in den kommenden Monaten und Jahren voraussichtlich die Einstiegshürde und der Aufwand sinkt, um Multimedia-Fakes zu produzieren.
Wenn Laien Politikern lippensynchron Aussagen in den Mund legen können, die diese nie getätigt haben, könnte das für eine neue Qualität und Quantität bei Fake-News sorgen. Vielleicht braucht es dann weitere KI-Systeme, die den Medienmüll bereinigen und so die Möglichkeit einer Gesellschaft zu Austausch und Diskurs bewahren.
Platz 3: Killer-KI: Reale Bedrohung oder Angstfantasie?
2017 war auch das Jahr der öffentlich ausgetragenen Debatten zu den Gefahren und Risiken fortschrittlicher Künstlicher Intelligenz. Die Idee einer allmächtigen Killer-KI, die verhindert oder zumindest reguliert werden muss, bevor es zu spät ist, hat prominente Fürsprecher.
Der lauteste KI-Kritiker ist der US-Unternehmer Elon Musk. Er bezeichnete Künstliche Intelligenz als "die größte Gefahr für die menschliche Zivilisation überhaupt". Nur um anschließend öffentlich von Facebook-Chef Mark Zuckerberg gemaßregelt zu werden: "Ich verstehe die Verweigerer und Weltuntergangspropheten nicht. Es ist sehr negativ und auf gewisse Art unverantwortlich", sagte Zuckerberg. Musk konterte bei Twitter: "Marks Verständnis des Themas ist begrenzt."
Im August relativierte Musk seine Pauschalkritik an KI: Die Technologie biete große Vorteile, man müsse nur aufpassen, "dass nichts Dummes passiert". Bei seinem E-Auto-Unternehmen Tesla lässt Musk selbst an Hard- und Software für Künstliche Intelligenz forschen, die Voraussetzung für das autonome Fahren ist.
Der bekannte Physiker Stephen Hawking zeichnete indes im November eine düstere Zukunftsvision: "Ich befürchte, dass KI den Menschen vollständig ersetzen wird. Wenn Menschen Computer-Viren entwickeln, dann kann jemand eine KI programmieren, die sich selbst verbessert und reproduziert. Die wird zu einer neuen Lebensform, die den Menschen übertrifft."
Andere wiederum relativieren die Risiken von Künstlicher Intelligenz oder verweisen auf das Potenzial zum Guten. Laut Googles oberstem Ingenieur Ray Kurzweil, der davon überzeugt ist, dass in nicht allzu ferner Zukunft die Singularität und damit die Super-KI erreicht wird, kann die Menschheit nur mit Künstlicher Intelligenz Armut, Krankheit und Umweltschäden überkommen. Langfristig prognostiziert Kurzweil eine produktive Koexistenz von Mensch und Maschine, trotz möglicher "schwieriger Episoden".
Ähnlich sehen das die Microsoft-Bosse Satya Nadella und Bill Gates, die Elon Musks Kritik für überzogen, aber die prinzipielle Warnung nicht für gänzlich falsch halten. "Wir können viel machen, um unsere Zukunft zu gestalten, anstatt einfach nur daran zu denken, dass uns etwas zustößt", so Nadella. Die Menschheit müsse versuchen, die Kontrolle zu behalten.