Der Hersteller von autonomen Fahrsystemen zeigt, wie sich der selbstfahrende Waymo Driver in realen Unfällen verhalten hätte.
Eines der Kernziele in der Entwicklung von autonomen Fahrsystemen ist die Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr. Über 90 Prozent aller Verkehrsunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Fahrende lassen sich von ihrer Umgebung ablenken, sind übermüdet und unkonzentriert, übersehen rote Ampeln oder fahren schlicht zu schnell. Warum also das Gefahrenpotenzial Mensch nicht einfach aus der Gleichung nehmen und durch eine Künstliche Intelligenz ersetzen?
Das Ergebnis könnte flüssiger, unfallfreier Verkehr in den Großstädten sein. Der Mensch wird zum Passagier und gibt die Verantwortung an Kameras, Radar- und Lidar-Sensoren ab. Das sieht auch Elon Musk so. Er glaubt zwar nicht an Lidar-Sensoren, dennoch sieht er den Tesla-Autopiloten schon bald viel sicherer fahren als Menschen.
Eine nun veröffentlichten Studie will den Sicherheitsaspekt autonom fahrender Vehikel ebenfalls untermauern. Demnach hätte autonomes Fahren in den letzten Jahren viele tödliche Unfälle verhindern können.
Autonomes Fahren soll Straßenverkehr sicherer machen
Seit Jahren befassen sich Start-ups und renommierte Autobauer mit Fahrassistenzsystemen und dem vollständig autonomen Fahren. Viele Experten sehen gerade in selbstfahrenden Robo-Taxis die Zukunft der urbanen Mobilität. Beinahe jeder große Tech-Konzern investiert in autonomes Fahren und besitzt Anteile an Herstellern autonomer Systeme oder übernimmt sie komplett.
Google vermeldete schon 2011 einen ersten Durchbruch mit dem selbstfahrenden „Google Driverless Car“. In den folgenden Jahren wurde die Forschung in das eigens dafür gegründete Schwester-Unternehmen Waymo ausgelagert. Seit 2018 betreibt Waymo einen kommerziellen Robo-Taxi-Dienst im US-Bundesstaat Arizona.
Die mit dem autonomen Fahrsystem „Waymo Driver“ ausgestatteten Autos legten dort bereits über sechs Millionen Kilometer Strecke zurück – seit Oktober 2020 sogar zum Teil ohne einen anwesenden Sicherheitsfahrer. Etwa zur gleichen Zeit veröffentlichte Waymo einen Safety Report, aus dem hervorgeht, dass der Waymo Driver während seiner Fahrten auf den Straßen Arizonas ausschließlich an kleineren und ungefährlichen Kollisionen beteiligt war.
Mit einer neu veröffentlichten Studie will Waymo nun zeigen, dass das eigene autonome Fahrsystem schwere reale Unfälle zwischen menschlichen Fahrern hätte verhindern oder zumindest deutlich entschärfen können.
Waymo rekonstruiert reale Unfälle in Arizona
In einem Blog-Beitrag auf der eigenen Website beschreibt Waymo, wie der Waymo Driver in verschiedenen tödlichen Unfällen reagiert hätte. Um das Verhalten des autonomen Fahrsystems im Vergleich zu den realen Ereignissen herauszufinden, wurden die Unfallgeschehnisse digital rekonstruiert.
Dazu sammelte Waymo in einem ersten Schritt alle verfügbaren Informationen zu insgesamt 72 tödlichen Kollisionen. Diese ereigneten sich allesamt zwischen 2008 und 2017 in einem mehrere Tausend Quadratkilometer umfassenden Gebiet in Chandler, Arizona. Auf den gleichen Straßen ist auch Waymos autonomer Taxi-Service aktiv.
Die für die Kollisionsrekonstruktion relevanten Daten stellten das Arizona Department of Transportation (ADOT) und das Chandler Police Department zur Verfügung. Dabei handelte es sich unter anderem um Polizeiberichte, schematische Darstellungen des Unfallortes, Fotografien, Videoaufzeichnungen und Zeugenaussagen.
Die Rekonstruktionen wurden von einem externen Spezialisten-Team gemäß Branchenstandards angefertigt. Waymo blieb laut eigenen Angaben als Auftraggeber anonym, um die Neutralität zu wahren. Die Experten wurden weder angeleitet, noch über den Zweck der Arbeit in Kenntnis gesetzt und hatten auch keinen Einblick in das in der Simulation eingesetzte autonome Fahrsystem.
So verhält sich der Waymo Driver in der Simulation
In den rekonstruierten Kollisionen identifizierte Waymo anschließend „Initiator“ und „Responder“ des Unfalls, also die Unfallverursacher und die reagierenden Beteiligten. Der Waymo Driver wurde in den darauf basierenden 91 Simulationen jeweils in die Rolle des Initiators und des Responders gesteckt.
Durch die unterschiedliche Rollenverteilung sollte ermittelt werden, wie das System auf menschliches Versagen reagiert und ob es den Unfall von vorneherein hätte verhindern können. In den insgesamt 52 Simulationen, in denen der Waymo Driver als Initiator eingesetzt wurde, vermied er jeden einzelnen Unfall. Waymo begründet das durch eine konsequente und kompetente Fahrweise und dem Befolgen sämtlicher Verkehrsregeln.
Die Alphabet-Tochter zeigt das Verhalten des Systems am Beispiel einer mehrspurigen Kreuzung. Im realen Szenario überfährt ein Verkehrsteilnehmer eine rote Ampel mit überhöhter Geschwindigkeit. Es kommt zum tödlichen Zusammenprall.
Fährt der Waymo Driver dort in der Rolle des Responders auf die Kreuzung mit grüner Ampel zu, wertet er das Signal logischerweise als Erlaubnis weiterzufahren. Das System geht davon aus, dass der Gegenverkehr entsprechend den Verkehrsregeln ein rotes Signal erhält und stehen bleibt.
Überfährt nun der gegenüberliegende Verkehrsteilnehmer die rote Ampel, fährt der Waymo Driver allerdings nicht stur weiter. Das autonom fahrende Auto reagiert auf das menschliche Fehlverhalten. Es erkennt die Gefahr durch seine Sensoren und das KI-System leitet frühzeitig einen Bremsvorgang ein. Dieser ist auch erfolgreich, weil das autonome Auto nicht schneller unterwegs ist als erlaubt. Es profitiert also vom optimalen Bremsweg.
Übernimmt der Waymo Driver im gleichen Szenario die Rolle des Initiators, kommt es erst gar nicht zu einer Gefahrensituation. Die KI „übersieht“ die rote Ampel nicht und fährt folglich nicht unerlaubt in die Kreuzung.
Simulierter Waymo Driver beeinflusst Unfallausgänge positiv
Als Responder konnte der Waymo Driver 82 Prozent der simulierten Unfälle vermeiden. In den meisten Fällen soll das durch den ruhigen und gleichmäßigen Fahrstil des Systems sogar ohne Vollbremsung oder enge Ausweichmanöver gelungen sein.
In zehn Prozent der Fälle konnte der Waymo Driver die Schwere des Unfalls immerhin mindern. Dies war ausschließlich der Fall in Szenarien, in denen ein Verkehrsteilnehmer quer über den Weg des autonomen Fahrzeugs abbog. Bei den restlichen acht Prozent war auch der Waymo Driver machtlos. In diesen Fällen handelte es sich um Auffahrunfälle, bei denen das menschlich gesteuerte Fahrzeug dem Waymo Driver ins Heck krachte.
In der Studie kam eine Simulation des aktuellen Waymo Driver 5 zum Einsatz, der auf der diesjährigen Elektronikfachmesse CES mit einem Innovation-Award ausgezeichnet wurde. Waymo zeigt sich über die Ergebnisse der eigenen Studie erfreut, will sich aber nicht darauf ausruhen. Die Google-Schwester weist darauf hin, dass Simulationen nur einer von vielen Leistungs-Indikatoren zur Bewertung autonomer Fahrsysteme sind.
Einen wirklichen Mehrwert würde wohl erst eine weiterführende Studie in einem neuen Umfeld bieten. Die simulierten Rekonstruktionen befinden sich in einer für das System optimalen Umgebung. Arizona verfügt über relativ gleichmäßiges, hauptsächlich sonniges Wetter. Dazu kommen breite und übersichtliche Straßen, in dem sich autonome Fahrsysteme gut zurechtfinden. Möglicherweise würden sich schwierige Wetterbedingungen oder ein dem Waymo Driver unbekanntes Verkehrsgebiet anders auf einige Ergebnisse auswirken.
Titelbild & Quelle: Waymo