Deepminds Sparrow-Chatbot könnte in diesem Jahr in eine Beta starten. Ist das Googles Ausweg aus dem "Innovator's Dilemma"?
OpenAIs ChatGPT ist der größte KI-Höhenflug aller Zeiten - und soll Google Angst ums eigene Kerngeschäft machen. Denn ChatGPT kann neben vielen anderen Dingen mehr oder weniger verlässlich Antworten auf Fragen geben. Das ist eigentlich die Domäne des Suchmaschinenkonzerns.
Google hat Antworten auf ChatGPT, aber gibt sie noch nicht
Dabei hätte Google eigentlich Antworten auf ChatGPT parat, zeigte auf Dialog optimierte große Sprachmodelle wie LaMDA und Flamingo schon vor OpenAIs Erfolgsprodukt. Mit Meena hatte Google schon Ende 2020 einen Chatbot, der glaubwürdige Gespräche mit Menschen führen konnte.
Doch bislang veröffentlichte der Konzern kein auf ihnen basierendes Produkt. Laut eigenen Angaben insbesondere wegen Sicherheitsbedenken, auch wenn andere Gründe ebenfalls eine Rolle spielen dürften – dazu später mehr.
Doch ChatGPT, und speziell die umfassende Beteiligung von Microsoft, die OpenAI bei der Skalierung hilft, setzen Google unter Druck. Der Konzern muss zumindest beweisen, dass er OpenAI in Schach halten oder sogar übertreffen kann.
Deepmind-Gründer und CEO Demis Hassabis stellt jetzt gegenüber Time in Aussicht, dass der von seiner Firma entwickelte Sparrow-Chatbot in diesem Jahr in eine "private Beta" startet. Das ist insofern bemerkenswert, da Deepmind bislang primär als KI-Forschungsinstitut auftrat, das Grundlagentechnologien entwickelt, die Google dann in Produkte für Verbraucher:innen integriert.
Deepmind stellte Sparrow im September 2022 vor. Der Chatbot ist wie ChatGPT mit menschlichem Feedback trainiert, was ihn laut Deepmind hilfreicher, korrekter und harmloser macht. Hinzu kommt, dass Sparrow über Google Zugriff auf das Internet hat und so aktuelle Recherchen in seine Antworten integrieren kann. Der geplante Beta-Chatbot soll laut Hassabis daher zu Antworten passende weiterführende Quellen ausgeben.
Sparrow basiert auf Deepminds Sprachmodell Chinchilla, das zwar weniger Parameter als OpenAIs größte Modelle hat, dafür aber mit sehr vielen Daten trainiert wurde. Das im April 2022 vorgestellte Sprachmodell übertraf GPT-3 in gängigen Sprach-Benchmarks. ChatGPT basiert allerdings auf der weiterentwickelten GPT-Version 3.5.
In jedem Fall gibt es guten Grund, anzunehmen, dass Sparrow ähnlich gut oder besser als ChatGPT funktioniert - und Google hätte zudem noch mächtigere Sprachmodelle wie PaLM in der Hinterhand.
Hilft Deepmind Google aus dem "Innovator's Dilemma"?
Weshalb also hat Google bislang nicht auf ChatGPT reagiert, oder brachte ein ähnliches Modell sogar vor OpenAI auf den Markt? Die von Google offiziell genannten Gründe – Mängel bei Verlässlichkeit und Sicherheit großer Sprachmodelle – sind glaubwürdig und dürften eine Rolle spielen.
Mit der Skalierung, mit der Google agiert, wäre ein Lügen oder Hassrede verbreitender Chatbot ein signifikantes Reputationsrisiko. Oder schlimmer noch: ein Chatbot, der so glaubwürdig ist, dass Menschen ihm ein Bewusstsein zusprechen. Wer möchte hierfür die Service-Hotline anbieten?
Der gewichtigere Grund könnte jedoch sein, dass Google im "Innovator's Dilemma" feststeckt. Der Begriff wurde 1997 von Clayton Christensen geprägt und beschreibt eine Situation, in der etablierte Unternehmen Schwierigkeiten haben, neue Technologien oder Geschäftsmodelle zu übernehmen, die ihre traditionellen Märkte stören.
Diese Unternehmen verfügen oft über beträchtliche Ressourcen und Fähigkeiten (Google), aber ihr bestehender Kundenstamm und ihre internen Prozesse machen es ihnen schwer, die Vorteile bahnbrechender Innovationen zu nutzen. Dies kann schließlich zum Niedergang des Unternehmens führen, da kleinere, agilere Wettbewerber in den Markt eintreten und ihn übernehmen (OpenAI).
Googles Kerngeschäft Suche wächst und ist höchst profitabel. Der Konzern verdient Geld mit jeder ausgespielten Suchergebnisseite.
Ein Suche-Chatbot bräuchte ein neues Monetarisierungskonzept und es ist unklar, ob dieses ähnlich profitabel sein könnte wie die aktuelle Google-Suche. Google könnte zwar einen erfolgreichen Chatbot auf den Markt bringen, womöglich auch profitabel machen - aber wenn die Profite unter der aktuellen Google-Suche liegen, würde der Konzern dennoch verlieren. Das ist Googles Dilemma.
Ein möglicher Ausweg für Google, um zumindest einen sanfteren Übergang zu erreichen: Der Konzern lanciert einen Chatbot über das Schwesterunternehmen Deepmind und baut ein eigenes Konkurrenzprodukt zur Google-Suche – und zu OpenAI.
Google könnte so Aktionäre beruhigen und schnell reagieren, sollten sich Chatbots als ernsthafte Such-Alternative etablieren. Genau hier kommt die für 2023 angekündigte Sparrow-Beta von Deepmind ins Spiel.