Wie Konzerne mit Künstlicher Intelligenz umgehen, ist ein entscheidendes Thema für die Zukunft unserer Gesellschaft. Das zeigt sich bei sensiblen Themen wie Überwachung. Entsprechend genau sollten wir alle hinschauen, wie sich Unternehmen zu KI-Ethik positionieren - nach außen und nach innen.
Nach außen präsentierte Google Ende März ein neues Gremium mit externen Experten, die den eigenen Angestellten bei Fragen zur KI-Ethik beratend zur Seite stehen sollten.
Doch schon unmittelbar nach der namentlichen Bekanntgabe der Experten regte sich im Konzern Widerstand gegen zwei der acht Mitglieder, da sie politisch fragwürdige Positionen vertreten würden. Die Kritik wurde unter anderem in einem offenen Brief formuliert.
?Google workers are calling for the removal of Kay Cole James from the company's AI ethics council. James is vocally anti-trans & anti-immigrant.
? External supporters, sign on by emailing your name + affiliation to against.transphobia@gmail.com ? https://t.co/IW34hpXw2u
— Meredith Whittaker (@mer__edith) 1. April 2019
Ein angedachter Kandidat lehnte die Teilnahme an Googles Ethikrat gar öffentlich ab: Er glaube nicht, dass der Rat ihm für diese wichtige Arbeit "das richtige Umfeld" biete.
Wenige Tage nach den Protesten zog Google die Reißleine und löste den Ethikrat wieder auf: Es sei klar geworden, dass er "im aktuellen Umfeld" nicht funktionieren könne. Der Konzern müsse "zurück ans Reißbrett".
Der Rückzug passierte zur Freude von Meredith Whittaker, die an der New York Universität und bei Google seit mehr als zehn Jahren zu Künstlicher Intelligenz und speziell zu Ethik forscht. Whittaker initiierte den Protest mit.
I am profoundly honored to have worked with so many principled people demanding tech ethics that center justice, not ethics-washing that makes room for bigotry. ♥️ Never forget: when we work together, my friends, IT WORKS! ♥️ https://t.co/K0OsHjVu9q
— Meredith Whittaker (@mer__edith) 4. April 2019
Wired wurde jetzt eine interne E-Mail zugespielt, nach der Whittaker unmittelbar nach der Auflösung des Ethikrates mitgeteilt wurde, dass sich ihre Rolle im Unternehmen "dramatisch verändern" würde.
Um weiter bei Google zu arbeiten, müsse sie ihre Arbeit an KI-Ethik einstellen und ihre Rolle im "AI Now Institute" aufgeben, das sie 2017 an der Universität New York mitgründete.
Das Institut gehört zu den weltweit wichtigsten Institutionen bei der Forschung zu KI-Ethik und den gesellschaftlichen Einflüssen Künstlicher Intelligenz.
"Ich arbeite seit Jahren an Fragen zu KI-Ethik und -Vorurteilen und habe das Feld mitgestaltet, indem ich auf die Probleme aufmerksam gemacht habe", schreibt Whittaker. "Ich bin Risiken eingegangen, um auf ein ethischeres Google hinzuarbeiten, auch wenn es weniger profitabel oder bequem ist."
Sie spricht von einer "Kultur der Vergeltung" bei Google, die nicht immer offensichtlich sei. Ihre Stellung im Institut will sie nicht ohne weiteres aufgeben:
I'm so grateful for your support. I remain staunchly committed to my work @AINowInstitute. Google's retaliation isn't about me, or @clairewaves. It's about silencing dissent & making us afraid to speak honestly about tech & power. NOT OK. Now more than ever, it's time to speak up
— Meredith Whittaker (@mer__edith) 23. April 2019
Sie erhält intern Rückendeckung von François Chollet, einem führenden Deep-Learning-Forscher bei Google.
I've been following the work of Meredith (@mer__edith) for several years now. She, alongside others such as Kate (@katecrawford), has been a real pioneer & thought leader on AI ethics, especially when it comes to ML bias, diversity, & inclusion, topics that I'm following closely.
— François Chollet (@fchollet) 23. April 2019
Ebenfalls Rachevorwürfe gegenüber Google erhebt Claire Stapleton, die gemeinsam mit Whittaker und fünf weiteren Angestellten am 1. November 2018 einen internen Protest gegen sexuelle Belästigung organisierte: 20.000 Google-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen verließen vorübergehend ihren Arbeitsplatz.
Stapleton beteiligte sich ebenfalls am Beschwerdebrief gegen den KI-Ethikrat.
Up to a thousand signatures! Truly dumbfounding that Google ended up in this situation, but it's time to #dotherightthing https://t.co/ucYFhmGGed
— claire stapleton (@clairewaves) 1. April 2019
Stapleton schreibt, dass ihr rund zwei Monate nach dem Protest im November Projekte und Verantwortung entzogen wurden. Außerdem sei ihr eine Krankmeldung nahegelegt worden - ohne gesundheitlichen Anlass. Mit Unterstützung eines Anwalts habe sie ihre Rechte zurückerhalten, die Arbeitsumgebung bliebe aber "feindlich".
Google bezieht gegenüber Wired Stellung zu den Vorwürfen: Es sei normal, dass Angestellten neue Aufgaben zugewiesen und Teams reorganisiert würden. "Es gab in diesem Fall keine Vergeltung."
Quelle: Wired; Titelbild: Google