800 Milliarden Dollar – das Marktpotenzial für autonom fahrende Lkws in den USA ist riesig. Welche Start-ups etablieren schon heute Robo-Trucks im Lieferverkehr?
Im Juni schickte das Start-up TuSimple einen Robo-Truck 1000 Meilen durch die USA. Im Vergleich zu einem menschlichen Fahrer legte der autonom fahrende Sattelschlepper die gleiche Strecke zehn Stunden schneller zurück - gerade für Frischwarenlieferungen ein enormer Gewinn. Die American Trucking Association geht davon aus, dass der Markt, in dem autonom fahrende Lkws eingesetzt werden könnten, allein in den USA über 800 Milliarden Dollar wert ist.
Kein Wunder, dass auch die ansonsten eher auf Robo-Taxis spezialisierten Unternehmen wie Waymo bereits autonom fahrende Trucks testen. Während Waymo im Bereich der Level-4-autonomen Pkw-Fahrten allgemein als führend angesehen wird, dominieren den Markt für selbstfahrende Trucks andere.
Wir stellen drei Unternehmen vor, die schon heute Sattelschlepper der Klasse 8 selbstständig über Amerikas Highways schicken.
Embark: Die Software-Spezialisten
Embark wurde 2016 als reine Robo-Truck-Firma gegründet. Während sich die Konkurrenz auf den Personenverkehr konzentrierte, richtete das Start-up aus San Francisco seinen Fokus von Beginn an auf den Lieferverkehr. Embark sieht sich selbst als Software-as-a-Service-Anbieter und entwickelt ausschließlich Software für autonom fahrende Semi-Trucks.
Das KI-System „Embark Driver“ identifiziert automatisch die wichtigsten Umgebungsdaten, die von Kamerasystemen und Sensoren wie Lidar und Radar erfasst werden. So reduziert sich die anfallende Datenmenge und das System kann seine Ressourcen effizienter nutzen.
Den Embark Driver bietet das Start-up im Abo-Modell an. Spediteure bezahlen eine Lizenzgebühr pro Meile. Laut Embark sparen Frachtunternehmen etwa 80 Cent pro Meile, wenn sie das autonome Fahrsystem und die dazugehörigen Softwaredienstleistungen wie eine cloudbasierte Versand- und Überwachungslösung von Embark einsetzen.
Zu Embarks Partner zählen unter anderem Hewlett Packard (HP) und große US-Transportgesellschaften wie Bison Transport, Werner Enterprises oder Mesilla Valley Transportation. Noch in diesem Jahr wird Embark mit einer Akquisitionsgesellschaft fusionieren und den Gang an die Börse realisieren. Laut eigenen Angaben soll sich der Wert des Unternehmens auf rund 5,2 Milliarden US-Dollar belaufen.
Plus: Das autonom fahrende Komplettpaket
Ebenfalls 2016 gegründet, geht das im Silicon Valley ansässige Start-up Plus einen etwas anderen Weg als Embark. Plus setzt in seinem „PlusDrive“-System auf Nvidias KI-System Drive Orin und kombiniert es mit einer umfangreichen Sensor-Suite. Die besteht aus Radarsensoren, digitalen Lidar-Sensoren des Herstellers Ouster sowie Thermalkameras.
Damit „sieht“ PlusDrive 360 Grad um das Fahrzeug herum. Das System erfasst Objekte in der Umgebung des Trucks und sagt deren Bewegung voraus. Laut Plus sei das multimodale Sensorsystem bereit für die Massenproduktion und für den kommerziellen Einsatz geeignet.
Bei ausführlichen Testfahrten in den USA und in China erreichte PlusDrive Spritkosteneinsparungen von bis zu 20 Prozent, wenn die Trucks 90 Prozent der Strecke autonom fuhren. Laut Plus würden Flottenbetreiber mit dieser Technologie den Bruttogewinn pro Lkw um 30 bis 70 Prozent steigern können.
Diese Werte machten auch Amazon hellhörig: Der Online-Händler bestellt Berichten zufolge über 1.000 Fahrsysteme bei Plus und sichert sich zudem eine Option auf den Kauf von Firmenanteilen. Kauft sich Amazon beim KI-Truck-Start-up ein, würden pro Vorzugsaktie 0,46647 US-Dollar fällig. Indes will Chinas größter Nutzfahrzeughersteller FAW noch dieses Jahr zusammen mit Plus die Massenproduktion autonom fahrender Trucks starten.
Bislang erfordern die Fahrsysteme von Plus noch einen Sicherheitsfahrer im Cockpit. Ab 2024 will das Unternehmen die vollständige Automatisierung der Lkws ermöglichen und somit fahrerloses Level 4 auf der SAE-Norm für autonomes Fahren anbieten.
Aurora: Das autonome Fahrsystem in Einheitsgröße
Während sich Plus und Embark ausschließlich auf Trucks konzentrieren, fährt Aurora seit jeher eine mehrgleisige Strategie. Das von ehemaligen Google-Ingenieuren gegründete Start-up entwickelt ein autonomes Fahrsystem, das sowohl in Pkws als auch in Lkws eingesetzt werden kann.
„Aurora Driver“ ist eine Hardware-, Software- und Service-Plattform, die autonomes Fahren für Trucks, Autos und Lieferfahrzeuge verschiedener Modelle, Marken und Größen ermöglicht. Auroras Priorität liegt allerdings auf den Semi-Trucks.
Neben Kameras und Radar-Sensoren verbaut Aurora auch den selbstentwickelten "FirstLight" Lidar. Dabei setzt das Unternehmen eine sogenannte frequenzmodulierte Dauerwellentechnologie ein, anstatt der herkömmlichen kurzen Lichtimpulse mit fester Frequenz.
FirstLight soll die Reichweiten der Konkurrenz um das Doppelte überbieten und dabei keine Probleme mit externen Störungen haben. Einen traditionsreichen europäischen Autobauer hat Auroras Technologie bereits überzeugt: Künftig soll Aurora Robo-Trucks von Volvo ausstatten. Gemeinsam wollen die Unternehmen eine neue Linie autonom fahrender Sattelschlepper für den nordamerikanischen Markt entwickeln.
Das wird auch künftig Auroras Geschäftsmodell bleiben. Das Start-up geht Partnerschaften mit Nutzfahrzeugherstellern ein und rüstet deren Vehikel mit dem Aurora Driver aus. Spediteure kaufen das Fahrzeug direkt vom Hersteller und zahlen anschließend eine Lizenzgebühr an Aurora, um Zugriff auf den Aurora Driver und sämtliche damit verbundenen Service-Angebote zu erhalten.
Aurora wird derzeit auf einen Wert von 1,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Zu den Investoren zählen namhafte Konzerne wie der Öl-Gigant Shell, Fahrdienstanbieter Uber, der südkoreanische Autobauer Hyundai und Amazon.
Eine umgekehrte Fusion mit Reinvent Technology Partners Y soll Aurora den Gang an die Börse ermöglichen. Die Transaktion würde dem Start-up zwei Milliarden US-Dollar in die Kasse spülen und den Wert auf einen Schlag auf 13 Milliarden US-Dollar erhöhen.
Titelbild: Aurora, Quelle: Plus, Aurora, Embark, Nanalyze