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Weltweite Proteste von Datenschutzbehörden irritieren Clearview AI offenbar nicht: Die Firma will eines Tages 100 Milliarden Personenbilder in der eigenen Datenbank führen - und fast alle Menschen identifizierbar machen.

Als "Google für Gesichter" ist Clearview AI umstritten. Einerseits kann die mit KI-Bildanalyse ausgestattete Suchmaschine helfen, Verbrechen aufzuklären oder vermisste Personen zu finden. Die Firma wird nicht müde, dieses Potenzial zu betonen.

Andererseits könnte Clearview AI so eine Art Büchse der Pandora der KI-Überwachung sein, weil sie eben jene schnell, mobil und potenziell für alle anwendbar macht. Angeblich soll die Clearview App etwa vom Milliardär John Catsimatidis missbraucht worden sein, um das Date seiner Tochter zu identifizieren.

Im behördlichen Kontext sind neben einer umfangreichen, automatisierten Überwachung zusätzlich Fehlidentifikationen ein Risiko, wenn die Ergebnisse der App von den verantwortlichen Personen als Wahrheit hingenommen werden.

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Bis zu 100 Milliarden Personenbilder sollen in die Datenbank aufgenommen werden

Kernstück von Clearview AI ist eine Datenbank mit Personenbildern, die die Firma aus dem Internet zusammensucht und mit Social-Media-Profilen und anderen Informationen verknüpft. Über eine App können etwa Polizisten ein Gesicht einscannen, mit der Datenbank abgleichen und so in Sekundenschnelle mehr über eine Person herausfinden.

Im Oktober 2021 verkündete Clearview, dass diese Datenbank von ursprünglich circa drei auf rund zehn Milliarden Bilder angewachsen ist. Außerdem sollen KI-gestützte Bildverbesserer die Erkennungsgenauigkeit des Systems optimieren, indem sie etwa durch eine Atemschutzmaske schwer identifizierbare Bilder mittels automatisierter Bildbearbeitung verwertbar machen.

Die Washington Post hat Zugriff auf eine Investoren-Präsentation von Clearview erhalten, in dem das Überwachungsunternehmen Pläne beschreibt, bis zu 100 Milliarden Bilder in die Datenbank aufzunehmen - das wären rund 13 Bilder pro Mensch. Das aktuelle Datenerfassungssystem soll bis zu 1,5 Milliarden Bilder pro Monat verarbeiten können.

Rund 50 Millionen US-Dollar will Clearview AI hierfür von Investoren einsammeln, und um neue Produkte zu entwickeln, die Verkäufe international zu steigern und die Lobby-Arbeit für eine "günstige Regulierung" auszuweiten. Die Präsentation stammt aus dem Dezember 2021.

Datenschutzbehörden unter anderem aus Australien, UK und Frankreich gehen derzeit gegen Clearview AI vor. Auch in den USA wehren sich einzelne Staaten gegen den behördlichen Einsatz der Clearview-App.

Empfehlung

Kurios ist der Weg für jene, die die eigenen Daten aus der Clearview-Datenbank gelöscht haben wollen: Clearview bietet nur eine E-Mail-Adresse an, an die man für die Identifikation etwa den Führerschein mit Porträtfoto schicken soll, um dann mit Verweis auf den CCPA oder die DSGVO seine Profilinformationen einzufordern. Clearview will also mehr private Daten, um ohne Einwilligung gesammelte private Daten zu löschen.

Überwachung mit der Clearview-App: Effizienter als in China?

In der Präsentation brüstet sich Clearview AI damit, wenig Konkurrenz zu haben, auch weil die großen Tech-Konzerne wie Amazon oder Microsoft zurückhaltend agieren. Außerdem funktioniere das eigene Produkt sogar besser als die staatlichen Überwachungssysteme in China.

Clearview begründet die technische Überlegenheit damit, dass die eigene Datenbank aus Fotos samt Metadaten aus öffentlichen Quellen sowie sozialen Verlinkungen generiert wird. Clearview-Gründer Ton-That besteht darauf, dass diese Datensammlung im Einklang mit geltendem Recht sei, obwohl sie ohne explizite Zustimmung der betroffenen Personen geschieht.

Neben bestehenden Kooperationen mit zahlreichen Behörden in den USA und Europa und dem US-Militär will Clearview laut der Präsentation private Unternehmen als Zielgruppe erschließen, etwa für die Überwachung billiger Arbeitskräfte der "Gig Economy" im Bereich des Einzelhandels und des E-Commerce.

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Auch die Finanzbranche sieht Clearview AI als potenziellen Markt, obwohl das Unternehmen 2020 nach der Catsimatidis-Enthüllung behauptete, nicht mehr mit Privatpersonen oder privaten Unternehmen zusammenarbeiten zu wollen.

In der Zukunft sei "fast jeder auf der Welt identifizierbar", heißt es in der Präsentation. Die Identifikation könne auch anhand des Gangbildes erfolgen oder anhand eines Fingerscans auf Distanz. Ebenso könne eine Person anhand eines Fotos lokalisiert werden.

Über die Clearview-App und deren mögliche Folgen für die Gesellschaft diskutieren wir im MIXED-Podcast Folge #187.

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Online-Journalist Matthias ist Gründer und Herausgeber von THE DECODER. Er ist davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz die Beziehung zwischen Mensch und Computer grundlegend verändern wird.
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