Passagiere der Moskauer U-Bahn erhalten künftig per Gesichtsscan Zugang zu den Gleisen. Der Moskauer Bürgermeister sieht das als Komfortfunktion, eine russische Datenschutzorganisation als Bedrohung.
Gesichtserkennung ist weltweit auf dem Vormarsch, das belegen Studien und Clearviews internationaler Siegeszug. Doch die Überwachungstechnologie stößt auf Gegenwehr: Menschenrechtsorganisationen, Datenschutzeinrichtungen, Bürger:innen und manche Politiker:innen stemmen sich gegen die flächendeckende Einführung von Gesichtserkennung.
Sie befürchten KI-gestützte Massenüberwachung, die schneller und effizienter ist als es ein von Menschen bedientes System jemals sein könnte – und eine daraus resultierende Überwachungsdystopie. Microsoft-Präsident Brad Smith warnte schon vor rund drei Jahren vor einem Überwachungsszenario wie im Roman 1984. Auch der US-Politiker Bernie Sanders zog diesen Vergleich.
Gesichtserkennung als Komfortfunktion
Mitten in diese Gemengelage startet die Moskauer Regierung jetzt ein neues Gesichtserkennungssystem an U-Bahn-Stationen: Mehr als 240 Stationen setzen das sogenannte "Face Pay"-System ein.
Um die Gesichtserkennung zu aktivieren, müssen Fahrgäste ein Foto, ihre Bankkarte und ihre Metrokarte über die mobile Metro-App mit Face Pay verbinden. Das Foto kann auch mit der App geschossen werden.
„Jetzt können alle Fahrgäste für Fahrten bezahlen, ohne ihr Telefon, ihre Metro- oder Bankkarte herauszunehmen“, schreibt der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin bei Twitter. Es reiche aus, in eine Kamera an den Drehkreuzen zu schauen.
15 Prozent der Passagiere sollen Face Pay verwenden
Die schnelle Drehkreuzkontrolle per Gesichtsscan soll den Passagierfluss speziell während der Hauptverkehrszeiten beschleunigen. Bis zu 15 Prozent der Moskauer Bewohner:innen sollen Face Pay innerhalb der nächsten drei Jahre regelmäßig einsetzen.
Die Daten sollen „sicher verschlüsselt“ in Datenverarbeitungszentren liegen, zu denen nur Angestellte des Innenministeriums Zugang haben. „Moskau ist das erste Land der Welt, das Face Pay in diesem Umfang einführt. Die Technologie ist neu und sehr komplex, wir werden weiter daran arbeiten, sie zu verbessern“, schreibt Sobjanin.
Russische Datenschutzgruppe Roskomsvoboda lehnt Face Pay ab
Stanislav Shakirov, der Gründer der russischen Datenschutzgruppe Roskomsvoboda, kritisiert die Einführung von Face Pay: „Wir nähern uns autoritären Ländern wie China an, in denen Gesichtserkennungstechnologie allgegenwärtig ist. Die Moskauer Metro ist eine staatliche Einrichtung und alle Daten können in den Händen der Sicherheitsdienste landen.“
Moskau setzt auch abseits der Metro auf KI-Überwachung: Mehr als 175.000 Kameras mit Gesichtserkennung sind in der Hauptstadt verteilt. Das Kamera-Netzwerk soll unter anderem bei Demonstrationen zur Unterstützung des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny für die Identifikation einzelner Personen eingesetzt worden sein.
Roskomsvoboda zeigte im November 2020, dass die vom Kameranetz erhobenen Daten keinesfalls sicher sind: Die Digitalaktivistin Anna Kuznetsova konnte bei Telegram für umgerechnet rund 175 Euro eine Liste mit allen Standorten bestellen, an denen sie vom Moskauer Gesichtserkennungssystem während eines Monats erfasst wurde.
Die Risiken und Chancen von KI-gestützter Überwachungstechnologie und Gesichtserkennung diskutieren wir ausführlich im MIXED.de Podcast #180.