Künstliche Intelligenz kann durch automatisierte Überwachung helfen, Pandemien zu bekämpfen. Doch was wird aus der KI-Technik, wenn die Pandemie vorbei ist?
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie setzen Staaten weltweit auf KI-gestützte Überwachung. China überwacht Smartphones, nutzt Gesichtserkennung in Millionen Kameras und verpflichtet Bürger, ihre Körpertemperatur und ihren Gesundheitszustand zu melden.
An Bahnhöfen installierte Thermoscanner identifizieren Patienten mit erhöhter Temperatur. Die gesammelten Daten wertet der Staat mit KI aus und kann so schnell mögliche Corona-Infizierte aufspüren, ihre Bewegungen verfolgen und Kontaktpersonen feststellen.
In Moskau werden mit Gesichtserkennung Menschen identifiziert, die ihre Quarantäne brechen. Israel setzt Überwachungstechnologie ein, die für den Kampf gegen Terroristen vorgesehen ist. Jetzt soll sie Coronavirus-Patienten aufspüren.
Die USA will auf die GPS-Daten von Smartphones zugreifen, um die Ausbreitung des Virus nachzuvollziehen. Der heftig umstrittene Gesichtserkennungs-Anbieter Clearview AI ist laut Wall Street Journal in Gesprächen mit Regierungen über den Einsatz der eigenen Technologie für das Tracking infizierter Personen.
In Deutschland setzt das Robert Koch-Institut anonymisierte Handydaten der Deutschen Telekom ein, um die Bewegungsströme der Bevölkerung nachvollziehen zu können. Das soll zeigen, ob Maßnahmen wie Kontaktsperren wirken.
Auf dem Weg zur totalitären Überwachung?
Der breite Einsatz teils KI-gestützter Überwachung findet prominenten Widerspruch. Ende letzter Woche veröffentlichte der Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari eine zweifache Warnung. In dieser Krisenzeit stünden wir vor zwei wichtigen Entscheidungen: zwischen totalitärer Überwachung oder der Stärkung der Bürgerrechte sowie zwischen nationalistischer Isolation oder globaler Solidarität.
Verstärkung bekommt Harari jetzt vom Whistleblower und ehemaligem CIA-Mitarbeiter Edward Snowden: "Wenn heutzutage Notfallmaßnahmen verabschiedet werden, können sie über die Krise hinaus bestehen bleiben", warnt Snowden im Interview mit dem Kopenhagener Dokumentationsfestival. "Der Notstand wird ausgeweitet. Dann gewöhnen sich die Behörden an die neue Macht. Sie beginnen, sie zu mögen."
Snowden spricht aus Erfahrung: Als kurzfristige Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 machte der "USA Patriot Act" den Sicherheitsbehörden der Vereinigten Staaten weitreichende Zugeständnisse. 2005 wurden diese mit wenigen Einschränkungen permanent übernommen. Die daraus resultierende massenhafte Überwachung der eigenen und weltweiten Bevölkerung deckte Snowden als Whistleblower auf.
Weniger Panik, mehr Voraussicht
Besonders kritisch sieht Snowden den Einsatz Künstlicher Intelligenz: Die effiziente KI-Überwachung für die Bekämpfung des Virus sei die Einschränkungen für zivile, öffentliche und individuelle Macht sowie Freiheit nicht wert. Am Ende stünde ein nicht zu kontrollierender Machtapparat.
Snowden fordert, sich die möglichen Konsequenzen einer engmaschigen KI-gestützten Kontrolle wegen des Coronavirus bewusst zu werden: "Wir kommen dieser Welt [Anm.: der unkontrollierbaren Überwachung] jeden Tag näher und näher, wenn wir unsere Entscheidungen durch Panik und nicht durch rationale Überlegungen über die unvermeidlichen Folgen dieser Einschränkung unserer Rechte motivieren lassen."
Quellen: WSJ, RTE, Al Jazeera